: Das Wahlkampfeisen
Gemeinsam, getrennt, mit oder ohne Gebühren? In Niedersachsen dreht sich die bildungspolitische Debatte um Schulsystem und Studiengebühren
VON CLAAS GIESELMANN
Viele umstrittene Themen gibt es im niedersächsischen Wahlkampf nicht. Doch eine Diskussion ebbt nicht ab: Welches Schulsystem ist das richtige? CDU und FDP vertrauen auf Altbewährtes, SPD und Grüne setzen auf Reformen – und fordern gleichzeitig die komplette Rücknahme des Errichtungsverbotes für Gesamtschulen, das Kultusminister Bernd Busemann (CDU) eingeführt hatte. Immerhin kündigte Ministerpräsident Christian Wulff (auch CDU) an, bei entsprechender Nachfrage von Eltern wieder neue Gesamtschulen zulassen zu wollen.
Die Sozialdemokraten sprechen allerdings von einem reinen „Lippenbekenntnis“ der Regierung. Die Eltern der Schülern würden sich schließlich am vorhandenen Schulangebot orientieren. Und für die Grünen ist diese Äußerung Wulffs lediglich „ein Spiel auf Zeit“. Im ideologisch geführten Streit die Steilvorlage für das heiße Wahlkampfeisen: Eine Hildesheimer Gesamtschule gewann jüngst den Deutschen Schulpreis.
Abschaffung der Orientierungsstufe, eigenverantwortliche Schule, Schul-TÜV, Abitur nach zwölf Jahren, Umwandlung in Ganztagsschulen: Eltern und Schülern haben in den vergangenen fünf Jahren unter einer Flut von Erlassen gestöhnt. Selbst in der eigenen Partei stießen Busemanns Umkrempeleien zum Schluss nicht mehr nur auf Gegenliebe. Bei der Systemfrage wollen CDU und FDP aber weiter am Status quo festhalten: Die dreigleisige Gliederung in Haupt-, Realschule und Gymnasium müsse bleiben. Die von SPD wie Grünen geforderte „Einheitsschule“ bedeute wegen sinkender Schülerzahlen das „Aus für Hunderte von Schulstandorten“, sagt Minister Busemann. Ausgerechnet er will jetzt „Ruhe in der Schulstrukturdebatte“. Die CDU will die von den Eltern massenweise abgewählte Hauptschule durch zusätzliche Förderstunden retten, mehr Ganztagsschulen bauen und das Ganztagsangebot auf alle allgemein bildenden Schulformen ausweiten.
550 Schulen mit Ganztagsangebot gibt es bereits im Land. Die FDP ist nicht nur aus finanziellen Gründen gegen Integrierte Gesamtschulen: „Die Schwächsten gehen dort kaputt, weil sie 15-mal am Tag erfahren, wie schwach sie sind“, sagt Schulexperte Hans-Werner Schwarz.
Die Opposition setzt dagegen auf eine neunjährige gemeinsame Schule, die das dreigleisige System ablösen soll. Während die Grünen planen, diese verbindlich einzuführen, machen die Sozialdemokraten das von der Akzeptanz der betroffenen Eltern in den einzelnen Regionen abhängig. Als Sofortmaßnahme planen beide Parteien, das „Errichtungsverbot“ für Gesamtschulen komplett aufzuheben. Geht es nach den Vorstellungen der Linken, würden die Gesamtschulen sogar zur alleinigen Regelschule in Niedersachsen werden, verbunden mit maximalen Klassengrößen von 20 Schülern und einer Wiedereinführung der Lernmittelfreiheit. Diese fordert auch die Opposition im Landtag, die Grünen allerdings nur für die Kinder von Sozialhilfe- und ALG II-Beziehern.
Das zweite große bildungspolitische Thema in Niedersachsen sind die Hochschulen. Auch hier hat sich die CDU-Position verändert: Vor fünf Jahren ging die CDU mit einem Nein zu Studiengebühren in den Wahlkampf, im Herbst 2006 war Niedersachsen eines der Bundesländer, das die „Uni-Maut“ einführte. Nun will die CDU die Autonomie der niedersächsischen Hochschulen stärken und Förder- und Stipendiatenprogramme ausbauen.
SPD, Grüne und Linke dagegen wollen die Möglichkeiten des Hochschulzugangs ohne Abitur verbessern. Hauptangriffspunkt der Opposition waren jedoch bislang die Studiengebühren. Ministerpräsident Wulff entschärfte am Vortag in der taz auch diesen Konflikt: Ehrenamtlich tätigen Studenten solle künftig ein Teil der Gebühren erlassen werden, regte er an. „Wenn man in der Kneipe jobbt, verdient man auch Geld, die ehrenamtlich Engagierten sollen nicht schlechter gestellt werden“, sagte ein Ministeriumssprecher. Unklar ist noch, wie viel Stunden ehrenamtlicher Arbeit Voraussetzung sind.