Wählertäuschung und Polemik

Wegen der falschen Statistiken zur Jugendgewalt verlangen SPD und GAL in der Bürgerschaft den Rücktritt von Justizsenator Carsten Lüdemann. Der will niemanden „wissentlich getäuscht“ haben

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Es habe technische Probleme gegeben, räumte Justizsenator Carsten-Ludwig Lüdemann (CDU) ein, „aber ich habe Parlament und Öffentlichkeit nicht wissentlich getäuscht“, versicherte er gestern vor der Bürgerschaft. Das Operieren mit falschen Zahlen über Urteile gegen straffällige Jugendliche, das die Opposition einen „Justizskandal“ nennt, sei ihm erst im Oktober 2007 bekannt geworden. Dessen Dimension jedoch habe er damals unterschätzt, sagte Lüdemann: „Ich hätte die Öffentlichkeit eher informieren müssen, das war nicht hinreichend transparent.“

Genau deshalb forderten Redner von SPD und GAL in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft Lüdemanns Rücktritt – oder seine Entlassung durch Bürgermeister Ole von Beust (CDU). Der Justizsenator habe „bewusst und gezielt getäuscht“, sagte SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel. Zudem habe er versucht, „die Verantwortung auf seine Mitarbeiter abzuwälzen“, empörte sich der grüne Rechtspolitiker Till Steffen. „Das Problem ist Herr Lüdemann“, erklärte SPD-Fraktionschef Michael Neumann: „Sie sind weder fachlich noch charakterlich geeignet für das Amt eines hanseatischen Senators.“ Im Amt sei Lüdemann doch nur noch, vermutete Steffen, weil der Bürgermeister fünf Wochen vor der Wahl nicht den zweiten Justizsenator nach Roger Kusch vor zwei Jahren entlassen wolle: „Damit würde er sein Scheitern zugeben.“

In der Justizbehörde waren jahrelang falsche Statistiken über Haftstrafen geführt worden. Danach seien 70 Prozent der wegen Straftaten belangten Jugendlichen zu Gefängnis und 30 Prozent auf Bewährung verurteilt worden. In Wahrheit, so kam jetzt heraus, ist es genau andersherum: Die Behauptung des CDU-Senats, mit harter Hand gegen Jugendgewalt vorzugehen, beruhte auf falschen Zahlen.

„Das ist versuchte Wählertäuschung“, konstatierte Dressel: „Sie haben versucht, über den Wahltermin zu kommen und sind dabei aufgeflogen.“ Diese Behauptung sei „polemisch und beschämend“, konterte CDU-Rechtspolitikerin Viviane Spethmann. Die Opposition wolle „mit unanständigen Mitteln Wahlkampf führen“, um von ihrer eigenen „inhaltlichen Armut“ abzulenken: „Sie haben keine justizpolitischen Konzepte.“

Eben diese Behauptung wollten die Sozialdemokraten in der anschließenden Debatte über Jugendgewalt widerlegen. Sie präsentierten einen ergänzenden Antrag zu einem umfangreichen Handlungskonzept gegen Jugendgewalt, das der Senat vorgelegt hatte. Darin fordert die CDU „zügige und spürbare Sanktionen“, die Durchsetzung der Schulpflicht oder verstärkten Präventionsunterricht an Schulen.

Das gehe zwar in die richtige Richtung, sagte Dressel, es seien aber „nur Trippelschritte“. Deshalb enthalte das Maßnahmenpaket der SPD „notwendige Ergänzungen“. Dazu gehören vor allem mehr Anti-Gewalt-Training, das Verbot von Killerspielen und Alkoholkonsum sowie ein Haus des Jugendrechts, um Gerichtsverfahren zu beschleunigen.

Dem Senatskonzept stimmte die SPD dann zur Gänze zu, die GAL in Teilen. Das Konzept der SPD aber, welches Rechtspolitikerin Spethmann eingefordert hatte, lehnte die CDU-Mehrheit ab: Es sei, so der CDU-Jugendpolitker Klaus-Peter Hesse, „ineffektiv, unbezahlbar und ohnehin eine Mogelpackung“.