: Die liebe Melancholie
Das Duo Raz Ohara & the Odd Orchestra hat ein Album aufgenommen, das auf geschmackvolle Weise an Cocktail-Jazz der Achtziger erinnert: wehmütige Computermusik für erwachsene Raver
VON THOMAS WINKLER
Allzu oft legt Oliver Doerell gar nicht auf. Zwei, drei Mal im Jahr vielleicht. Doch damals, vor vier Jahren, da gab er den DJ und stand an den Plattenspielern in der Galerie Lichtblick. Er hatte sich gerade eben für einen Song von Raz Ohara entschieden, die ersten Töne wehten durch den Raum, da materialisierte sich plötzlich die Musik. Die Tür ging auf und herein kam Raz Ohara. „Wir kannten uns vorher nicht“, erinnert sich Doerell, „aber an dem Abend haben wir sofort beschlossen, zusammen Musik zu machen.“
Die Folgen dieser Anekdote sind nun erschienen. Das Debüt von Raz Ohara & The Odd Orchestra, wie sich das Duo nennt, ist eine wundervoll wehmütige Platte, die als Soundtapete ebenso hervorragend funktioniert wie als Traumreise unterm Kopfhörer. Die beiden, Ohara klein und eher rund, Doerell spindeldürr und groß, wirken zwar ein wenig wie Pat und Patachon der Berliner Club-Szene, aber zusammen bringen sie endgültig zu Ende, was Massive Attack dereinst begonnen haben: melancholische Musik aus dem Computer für Erwachsene, Beschallung für Stehempfang und Chillout-Lounge, die nicht an der eigenen Oberflächlichkeit erstickt.
Ohara, der vor 14 Jahren aus Dänemark nach Berlin kam und „nie vorhatte, so lange zu bleiben“, setzte sich hin „und schrieb ein paar Liedchen“. Doerell, in Belgien geboren und aufgewachsen und mit 19 nach Berlin gekommen, sorgte für die Umsetzung. „Wir treffen uns einmal die Woche, drücken uns die CD in die Hand und reden vier Stunden drüber“, beschreibt Ohara die Arbeitsweise, „zusammen Musik machen wir eigentlich nie.“
Der Musik kann das egal sein. „Atmosphärisch“, findet sie Ohara, Doerell nennt sie „filmisch“. Berücksichtigt sind sowohl die jüngsten Ausflüge des Techno-Musikers Ohara ins Singer/Songwriter-Gewerbe als auch die elektronische Landschaftsmalerei, die Doerell sonst mit Dictaphone oder Swod betreibt, wenn er nicht gerade Musik fürs Tanztheater schreibt. Geschmackvoll, ohne geschmäcklerisch zu sein, wird die Stimmung der allercoolsten Jazzplatten eingefangen und weniger vorsichtig als vielmehr respektvoll modernisiert.
Das erinnert bisweilen sogar an die frühen 80er-Jahre, als Cocktail-Jazz und Gebrauchs-Soul erfunden wurden. Den Vergleich zu Sade findet Ohara zwar „super“, Doerell „eher beleidigend“. Aber auch er gibt zu, dass ihre Platte als Barmusik „missbraucht werden könnte“. Genau das aber gefällt Ohara: „Ich mag das, einen Raum zu füllen oder einen Ort zu erschaffen.“
An dem Ort, den Raz Ohara & The Odd Orchestra erschaffen, ist aber auch Platz für Pop. Zwischen das Knistern, in die tiefen Hallräume, die Klangarchitekt Doerell programmiert hat, schieben sich immer wieder zeitlose Melodien. Mit „Agony“ und „One“ hat Ohara mindestens zwei potenzielle Hits geschrieben, die er mit wissender, stets leicht zurückgenommener, nichtsdestotrotz voller Stimme interpretiert, und ein Stück wie „Wondering“ mit seinen gezupften Akustikgitarren hätten selbst die Kings of Convenience kaum verträumter hinbekommen.
Das allerdings, was man von einem elektronischen Album, einem aus Berlin zudem, erwarten würde, darauf wartet man vergeblich. Je länger „Raz Ohara & The Odd Orchestra“ voranschreitet, desto ferner wird die Erinnerung an die Tage des Tanzes, an die späten Neunziger, an die Zeit, die Ohara „mein swinging Berlin“ nennt, die Zeit, als „alles möglich schien“. Doerell allerdings kann auf diese Erinnerung gerne verzichten: „Mir ging es schlecht damals. Es war zwar ein Abenteuer, aber das ganze Feiern hab ich nicht vertragen. Ich bin ein eher labiler Typ.“
In ihrer gemeinsamen Musik ist nun beides zu hören. Die nostalgische Erinnerung an diese Tage und der Kater, der immer noch nachklingt. Endgültig zum Erliegen kommt der Rhythmus schließlich in Songs wie „Counting Days“ oder dem abschließenden „Set On You“. Ohara, der immer noch live Techno spielt, wird hier, man muss es wohl so nennen: besinnlich. „Melancholie ist ein Charakterzug“, sagt er.
So beweist die Zusammenarbeit von Ohara und Doerell vor allem: Immer schön auf die Eins ist nur mehr was für Kinder und die Raving Society ist mittlerweile in einem gesetzteren Lebensabschnitt angekommen. Das wird augenfällig, wenn man in Prenzlauer Berg Kinderwagen zählt. Oder eben, wenn man „Raz Ohara & the Odd Orchestra“ hört.
Das letzte Mal, als Oliver Doerell Musik auflegte, ist wieder was passiert. Diesmal aber war es kein Anfang, sondern eher ein Ende. Es war vor ein paar Monaten, der Abend lief nicht allzu gut. Zwei Uhr war es, als Doerell freundlich, aber bestimmt gebeten wurde, die Turntables einem anderen DJ zu überlassen. „Der Chef“, erinnert sich Doerell, „der meinte, ich sei geschäftsschädigend.“
Raz Ohara & the Odd Orchestra: dito (Get Physical/ RTD). Die Record Release Party findet am 27. 1. im Kino Babylon statt