: Schon hat’s wieder klick! gemacht
Überwachung in der Oper: Im Kunstraum Kreuzberg widmet sich eine „begehbare Oper“ dem Thema „Panopticon“
Vom Besucher zum Beobachteten ist es manchmal nur ein Schritt. Wer dieser Tage den Kunstraum Kreuzberg betritt, wird am Eingang von einer Kamera erfasst und kann wenig später sein im Nebenraum an die Wand geheftetes Konterfei bewundern. Die Botschaft ist klar: Hier wird nicht nur Überwachungstechnologie in Stellung gebracht, sondern scharf geschossen. „Panopticon LV I–I oder Der Weg des Konspirateurs“ heißt diese „begehbare Oper“ der Künstlergruppe Echelon, die in Zusammenarbeit mit der Zeitgenössischen Oper Berlin entstand.
Das Thema Überwachung könnte kaum gegenwärtiger sein. Fast jeder hinterlässt Spuren im Internet, wird von Kameras aufgezeichnet und damit zunehmend kontrollierbar – von politischen Bestrebungen, den Datenschutz zu untergraben, ganz zu schweigen. Sinnbild für die Unentrinnbarkeit der Beobachtung ist das „Panoptikum“, eine vom britischen Philosophen Jeremy Bentham entwickelte Struktur. In Benthams Panoptikum sind alle Räume strahlenförmig um einen zentralen Wachturm gebaut, von dem aus ein Wächter in jede Zelle blicken kann, ohne selbst gesehen zu werden.
Das Panoptikum-Prinzip hat der französische Philosoph Michel Foucault in seinem Buch „Überwachen und Strafen“ aufgegriffen und zu einem grundlegenden Machtprinzip der westlichen „Disziplinargesellschaften“ erweitert. In letzter Konsequenz entspräche der Überwachung „ein vollkommenes Auge“, dem nichts entgeht und auf das alle Subjekte, die sich in dieser Machtstruktur erst konstituieren, ihre (angstvollen) Blicke richten. Auf diese Theorie beziehen sich die Künstler.
Im Hauptraum ist ein Panoptikum für das Medienzeitalter aufgebaut. Kreisförmig arrangierte Monitore zeigen Filmaufnahmen von Hausfassaden, den Blick aus einem Fenster, leere Innenräume. Wo bei Bentham ein Wächter auf ihm ausgelieferte Subjekte blicken kann, starren die Opernbegeher auf Bildschirme. Die Kontrolle erhält in dieser Konstellation eine modifizierte Gestalt: Beim klassischen Panoptikum wird der unsichtbare Wächter im Grunde erst durch die Bewachten konstituiert, denn ihr Gefühl der Überwachung ist unabhängig davon, ob tatsächlich jemand auf dem Wachturm steht. Die Monitore freilich können sich nicht beobachtet fühlen: Ob jemand hinsieht oder nicht – die Bilder werden geliefert.
Im Hintergrund erklingt über Lautsprecher leise Musik. Klaviertöne, Gesang und Stimme sind zu hören. In anderen Räumen sind fragmentarische Archive ausgestellt, Kopfhörer stehen bereit, die kurze Text- oder Musikpassagen in Endlosschleife spielen. Die Musik ist in dieser Oper anscheinend nicht die Hauptsache. Deshalb wird nicht ganz klar, warum diese Installationsarbeit unbedingt eine Oper sein muss. Zwar gibt es eine Figur, einen Konspirateur namens Lucien, der auf Zetteln genannt wird und die einzelnen Elemente der Arbeit verbinden soll. Dazu gehört ein Gebäude in der Leipziger Straße, Benthams Architekturpläne oder Mata Hari, der ein Schaukasten mit Aktbildern und eine Kurzoper als Hörmaterial gewidmet sind. Der Zusammenhang erscheint jedoch genauso erzwungen wie die Entscheidung, an eine Kunstgattung anzuschließen, die sich im 20. Jahrhundert als äußerst wandlungsfähig erwiesen hat, in diesem Fall aber eher eine Verlegenheitslösung in Ermangelung eines neuen Begriffs zu sein scheint.
TIM CASPAR BOEHME
Im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, bis 30. Januar, tägl. 12–19 Uhr