: Berliner Lektionen
Gesinnungsethiker unter sich: In Berlin traf sich ein Häuflein erschöpfter Eiferer und beriet, wie sich der Iran am besten bombardieren ließe, zum angeblichen Wohle Israels und gegen die deutsche „Appeasementpolitik“
Der Tag endete mit dem Aufruf, zum Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm zu ziehen und dort Flugblätter zu verteilen. Denn das Brecht-Theater will demnächst ein Gastspiel in Teheran geben. Und dies ist für die „israelsolidarische Linke“, die sich in der nahe gelegenen Humboldt-Universität in Berlin traf, nur ein Beispiel unter vielen für das „alltägliche Appeasement“, dass dem Regime der iranischen Mullahs von deutscher Seite entgegengebracht werde.
Der Eifer der Anwesenden, zum Schiffbauerdamm aufzubrechen, hielt sich jedoch in Grenzen. Allzu erschöpft schienen die rund 150 Zuhörer noch von den vielen Lektionen, die sich alle um das durchweg finstere Wesen des iranischen Mullahregimes gedreht hatten. Ein wenig ratlos rafften sie sich von ihren Holzbänken auf und sammelten im fahlen Licht der Deckenfluter ihre Sachen ein. Es wirkte wie nach einer beliebigen Vorlesung, zumal das Outfit des studentisch wirkenden Publikums mit seinen Sportjacken, Kapuzenshirts und dem Schwarz als dominierender Farbe irgendwo zwischen Antifa-Uniform und Hipsterschick siedelte.
Die „Antideutschen“, wie sich diese „israelsolidarischen Linken“ auch gerne nennen, sind bescheiden geworden. Bejubelten sie bislang noch euphorisch die Feldzüge der USA im Irak oder den Israels im Libanon, so fordern sie jetzt ausnahmsweise nicht den sofortigen Einmarsch in den Iran. Stattdessen beschränkten sich die meisten Redner in Berlin darauf, in einer möglichst drastischen Sprache möglichst viele Analogien zwischen dem Mullahregime und dem Dritten Reich herzustellen. Ständig war von „Islamnazis“ (von der Osten-Sacken) die Rede, von „Appeasement“ gegenüber der „Fortsetzung des Nazi-Vernichtungskriegs“ (Gerhard Scheit). Und falls jemand die Botschaft noch nicht verstanden haben sollte, bekräftigte Christine Krause vom Bündnis gegen Appeasement: Gewinnen lasse sich der Krieg gegen den Terror „nur durch Zerschlagung der Terrorbanden und den Sturz des Regimes im Iran“.
Es blieb dem Sprecher der weithin unbekannten Grünen Partei des Iran überlassen, konkrete Forderungen zu formulieren. Der junge Umwelttechniker Kazem Moussavi verlangte nichts weniger als die komplette Isolation des Mullahregimes, von der Schließung aller Botschaften des Irans über das Einfrieren aller Konten und Geschäftsbeziehungen, verschärfte Sanktionen – notfalls ohne Russland und China – bis zur Unterstützung des aktiven iranischen Widerstands. Nein, realistisch klang das nicht. Aber das musste es auch nicht sein für eine „Tagung“, bei der es keine Debatten und keinen Widerspruch gab. Die Gesinnungsethiker waren hier ganz unter sich, um sich gegenseitig ihr hermetisches Weltbild zu bestätigen und sich in wohliger Nestwärme zu suhlen.
Natürlich ist Abscheu gegen den iranischen Gottesstaat verständlich: Niemand sollte sich Illusionen über die totalitäre Natur dieses von Mullahs gelenkten Regimes machen. Doch die ständigen Verweise auf den Nationalsozialismus legen den Verdacht nahe, dass es dieser Splittergruppe der radikalen Linken mehr um ihre eigene Haltung zur deutschen Vergangenheit geht als um die Auseinandersetzung mit dem realen Islamismus von heute. Einmal auf der richtigen Seite stehen, so lautet die Hoffnung, um Entlastung zu finden. Verbrämt wird ihr moralischer Rigorismus mit einem pseudophilosophischen Vokabular und einer hülsenhaften Theoriesprache, die an alte „Kursbücher“ oder frühere Bekennerschreiben der RAF erinnern. Da ist häufig von „kapitalistischen Verwertungsprozessen“ und „ökonomischen Charaktermasken“ die Rede, niemals von Menschen, sondern nur von widerstreitenden Kräften und Ideologien: „Zivilisation“ gegen „Barbarei“, „Wahn“ versus „Rationalität“, „wir“ gegen den „Faschismus“. Und: Europa sei sowieso verloren, da angeblich der „Faszination“ und „Bewunderung“ für den Gottesstaat erlegen. Aber auch der Bush-Regierung wird schon mal „Naivität“ (Christine Krause) oder „fataler Pragmatismus“ (von der Osten-Sacken) vorgeworfen. Für die Redner war die Sache klar: Das islamistische Regime strebt Israels Vernichtung an, und der Iran steht an der Spitze des dschihadistischen Kriegs gegen den Westen. Eine kontroverse Debatte über diese Behauptung wird offenbar als unnötige Zumutung empfunden, an Einwänden ist man nicht interessiert.
Und die gibt es. Etwa, dass den schiitischen Gottesstaat Iran und die arabisch-sunnitischen Gotteskrieger von al-Qaida schwer zu überwindende Gegensätze trennen. Oder dass der Iran von sich aus noch nie – zumindest in der jüngeren Geschichte – einen Krieg gegen ein anderes Land begonnen hat und auch die von den Mullahs logistisch unterstützten Gruppen wie Hamas und Hisbollah durchaus eine eigene Agenda verfolgen. Solche und andere Details spielen für die antideutschen Kräfte offensichtlich keine Rolle. Stattdessen grobe Vereinfachungen und dramatische Übertreibung: Ahmadinedschad sei ein Apokalyptiker, der die Welt ins Chaos stürzen wolle, um die Ankunft des Mahdis zu beschleunigen, so Thomas von der Osten-Sacken. Mag sein. Nur, die Apokalyptiker sind nicht nur in Teheran zu Hause. DANIEL BAX