Demonstration der Stofftiere

Gefördert und gefordert: Felicitas Brucker gehört zu den jungen und viel beschäftigten Regisseuren, die gerne mit zeitgenössischer Dramatik verkuppelt werden. Trotzdem inszeniert sie am Gorki jetzt Goethes „Urfaust“ – mit Hindernissen

Theater als moralische Anstalt? Felicitas Brucker zuckt zusammen

VON EVA BEHRENDT

Die Nerven, die könnten ihr schon jetzt ein wenig zittern. Eine knappe Woche vor der Premiere von Felicitas Bruckers „Urfaust“-Inszenierung hat sich ihr Faust-Darsteller Robert Kuchenbuch bei einem Fahrradunfall böse am Ellenbogen verletzt, und noch weiß am Gorki Theater niemand, ob die Premiere in vier Tagen stattfinden kann oder verschoben werden muss. Die Regisseurin mit der mädchenhaften Ponyfrisur telefoniert, überlegt, nimmt sich trotzdem Zeit für ein Gespräch. Keine Panik.

Felicitas Brucker ist 33 und zählt zur Generation der zwischen 1973 und 1983 geborenen Regisseure, nach denen die ambitionierten Bühnen der Republik gierig die Finger ausstrecken. Anders als Roger Vontobel, Tilman Köhler und David Bösch, Jorinde Dröse und Jette Steckel, die direkt von der Hochschule wegengagiert wurden, hat die gebürtige Stuttgarterin zunächst ein ordentliches Studium der Theater-, Literatur- und Medienwissenschaft in München abgeschlossen, um Ende der 90er-Jahre nach England zu gehen, ins Land der Life Art, der Erzählperformances von Forced Entertainment und der extremen Dramatik von Sarah Kane. Zwei Jahre studierte Brucker am linksliberalen Goldsmith College in London Theater und lernte, mit angelsächsischer Texttreue konfrontiert, das Regie- und Ensembletheater erst richtig schätzen: „Ich merkte, dass ich deutscher bin, als ich dachte.“

2003 schlug sie als Regieassistentin an Frank Baumbauers Münchner Kammerspielen die klassische Stadttheaterlaufbahn ein und wurde, wie viele junge Regisseure, zunächst auf Uraufführungen neuer Stücke ebenfalls junger Dramatiker angesetzt. So kam sie zu Kathrin Rögglas dokumentarischem Schuldenfallendrama „und draußen tobt die dunkelziffer“ (2005) oder Anja Hillings Barfly-Reigen „Engel“ (2006). Brucker, die selbst Tanzerfahrungen hat, entwickelte für ihre Spieler auf der abstrakten Halfpipebühne eine regelrechte Choreografie der Begegnungen und fand die richtige Mischung aus Intensität und Distanz, Popsongs und Videos.

Seit der letzten Spielzeit reist die Regisseurin nach straffem Fahrplan, inszenierte in Hannover und Freiburg, am Gorki und bei den Autorentheatertagen in Hamburg. Im Mai erhielt sie den (Förder-)Kunstpreis der Berliner Akademie der Künste.

Dass dabei vor allem Gegenwartstexte an sie herangetragen werden, empfindet sie als Herausforderung; sie selbst sucht nach zeitgenössischen Texten wie Thomas Freyers „Amoklauf mein Kinderspiel“, das sie demnächst in Hamburg inszeniert. Wichtig ist ihr, dass die Stücke „die Schmerzpunkte der heutigen Gesellschaft oder deren politische Handlungsfähigkeit befragen“.

Heißt das nicht auch, Theater als moralische Anstalt zu verstehen, wie es der bildungsbürgerliche Mainstream eigentlich immer noch wünscht? Felicitas Brucker zuckt bei dieser Frage zusammen. Das ist so ziemlich das Letzte, was sie will, nichts schlimmer als ein Theater mit didaktischem Zeigefinger! Dann erzählt die Pädagogentochter, wie sie ihre politisch grün engagierten Eltern in den 80ern zu Mahnwachen und Menschenketten begleitete – mit dem Resultat, dass sie schon als Kind ihre Wünsche auf Miniaturtransparente schrieb, sie ihren Stofftieren in die Pfoten drückte und diese protestierend vor den Eltern aufmarschieren ließ.

Der Generation-Golf-Effekt aber, also die Ablehnung jeglichen politischen Engagements, hat Felicitas Brucker nie so richtig eingeholt. Bis heute geht es ihr „letztlich um Verantwortlichkeit und darum, dass Theater ein gemeinschaftsbildendes Erlebnis und gesellschaftliches Modell sein kann“.

Wonach sie bei der Probe und auf der Bühne genau sucht, fällt ihr schwerer zu sagen als das, was sie ablehnt. Theater als Denkraum, aber nicht steril und verkopft; zum Kern eines Stoffes eine Haltung entwickeln. „Figuren, die ungebrochen und mit sich selbst identisch sind – das geht zum Beispiel gar nicht mehr“, meint sie und lacht: „Aber das ist natürlich seit der Moderne nichts Neues.“

Dann erzählt sie von ihrer leidenschaftlichen Begeisterung für Goethe und seine Versuche, menschliche Beziehungen auf wissenschaftliche Formeln zu bringen. Sein „Urfaust“ ist der erste Klassiker, den sie in Deutschland inszeniert; seinen Roman „Wahlverwandtschaften“ hat sie schon letztes Jahr in Freiburg auf ein Quartett von 30-jährigen Adepten der Neuen Bürgerlichkeit übertragen.

In der Faust-Skizze des jungen Goethe interessieren sie außerdem die Handlungsmöglichkeiten der Gretchen-Figur, die sie mit den ungeheuren Erfahrungen und Lebensgeschichten von zwölf eigens gecasteten alten Damen konfrontiert. Dass die Seniorinnen mitspielen, hat auch mit dem von der Gorki-Dramaturgie gesetzten „Themenfeld Alt“ zu tun, doch Felicitas Brucker hat das schnell zu ihrem eigenen Ding gemacht. „Solche Vorschläge würde ich nicht akzeptieren, wenn ich nichts damit zu erzählen hätte“, sagt sie, die tief im Faust-Stoff steckt: „So weit würde ich meine Seele nicht verkaufen.“

Die letzte Nachricht von Felicitas Brucker kommt am 28. 1. um 4.05 Uhr. „Faust kann wieder handeln – mit Gips.“ Die Premiere am 30. Januar findet statt.