Eine widersprüchliche Destination

„Nach Buenos Aires“: Das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven widmet Argentinien eine Sonderausstellung. Bekannt wurde das Land als Ziel für Nazi-Größen, Zuflucht fanden dort aber auch deren potenzielle Opfer

Die Tränen kommen am Ende. Wenn Wolfgang Joseph Levy an seinem Esstisch in Buenos Aires sagt, dass das einzig Deutsche an ihm noch sei, dass er die Sprache perfekt spreche. Das tut er in der Tat. Auch seine Einrichtung sieht mehr nach Bottrop als als nach Buenos Aires aus. Doch ein „Heimatland“ Deutschland gibt es für ihn nicht: „Wie heißt es im Märchen?“, fragt er, um die Antwort gleich selbst nachzuschieben: „Das war einmal.“

Ja, das war einmal. Geboren worden ist der Mann mit der urdeutsch-hebräischen Vornamenkombination Anfang der 1920er Jahre. Die Flucht aus Deutschland ergriff er 1939, im April. Es war der letzte Tag, an dem das nationalsozialistische Regime noch Ausreisegenehmigungen ausstellte. Wer jetzt noch im Deutschen Reich blieb, obwohl er Jude war – oder nach den Nürnberger Gesetzen als solcher galt –, war so gut wie tot. „Ciao“, hat Levy noch gesagt vom Straßburger Münster hinab. Dann war er auf und davon.

Das alles erzählt Levy in dem Kurzfilm „24h Buenos Aires“. Der leitet im Deutschen Auswandererhaus die derzeitige Sonderausstellung „Nach Buenos Aires“ ein: Das „European Museum of the Year 2007“ befasst sich bis zum 25. April mit der Emigration nach Argentinien.

Auch Lebin Weckesser kommt vor in dem Film von Regisseur Ciro Cappellari, der selbst in Buenos Aires geboren wurde. Weckessers gelangte als ungeborenes Kind nach Südamerika. Auch dieser kleine Mann mit Schnauzbart rührt den Zuschauer sofort an. Seine Familie brachte das Wahrzeichen des Tango mit nach Argentinien: das Bandoneon, die Quetschkommode Südamerikas. Noch heute gibt es die Werkstatt der Familie, wo die Instrumente repariert werden. Lebin Weckesser selbst arbeitet 81-jährig immer noch als Dreher in Corodoba. Seine Tochter und die Enkelin kümmern sich um die Instrumente.

Für Cappellaris Film ist der kleine alte Mann nach Bremerhaven gekommen und hat sich auf der Stromkaje filmen lassen. Zwar ist im Hintergrund nur die Wesermarsch zu sehen – doch nicht mal die provinziellste Umgebung nimmt seinem Auftrittdie Weltläufigkeit.

Es ist Stärke und Alleinstellungsmerkmal des Bremerhavener Museums, Geschichte mit Biografien zu verbinden. Erst nach dem Film kommt für den Besucher die eigentliche Sonderausstellung. Untermalt vom Klang der „Avenida 9 de Julio“ aus der argentinischen Hauptstadt werden die Facetten des widersprüchlichen Einwanderungslandes behandelt. Nicht nur die Opfer der Nazis suchten hier ihr Heil. Das Migrationsland Argentinien machten eigentlich die NS-Täter bekannt, die über die so genannte Rattenlinie einwandern konnten. Der Todesengel von Auschwitz, KZ-Arzt Josef Mengele, flüchtete ebenso nach Argentinien wie der Massenmörder Erich Priebke und der Logistiker des Holocaust, Adolf Eichmann.

Mit dem Kapitel Argentinien setzt das Auswandererhaus die erste große Episode neben die Vereinigten Staaten, der Hauptdestination der Auswanderungswelle. Gen Argentinien tröpfelte die Auswanderung, heißt es im Ausstellungskatalog. Erst ab den 1920er Jahren dann nimmt die Zahl deutscher Migranten zu.

Doch die Fakten, so sorgfältig recherchiert und präsentiert sie auch sein mögen, halten mit dem Film, der im Kino des Museums gezeigt wird, nicht mit. Erst durch ihn lässt sich der trockene Statistikstoff einsortieren, erhält Geschichte Gesichter. Und so ist das Auswandererhaus auch ein Prototyp moderner Geschichtsvermittlung geworden.

Mit der Sonderausstellung „Nach Buenos Aires“ sind neue Biografien auch in die Dauerausstellung aufgenommen worden. Sky du Mont, Hannelore Hoger, Harry Rowohlt und andere haben ihre Stimmen für diese Lebensgeschichten hergegeben.JAN-PHILIPP HEIN

„Nach Buenos Aires“: Sonderausstellung im Deutschen Auswandererhaus, Columbusstraße 65, Bremerhaven. Geöffnet täglich 10 bis 17 Uhr, ab März bis 18 Uhr, bis zum 25. April; www.dah-bremerhaven.de