: Wedding ganz groß in Mode
Mit Mode, Kunst und Partys versucht das Festival „Wedding Dress #2“, den Bezirk als kommendes Überlaufbecken für Hipster zu positionieren, denen Mitte und Prenzlauer Berg zu teuer geworden sind
VON JENNI ZYLKA
Hinter dem U-Bahnhof Bernauer Straße bleiben zwei halbstarke Nordberliner mit Baggy Jeans, breitschultrigen Jacken und Golddekor an den Baseballkappen vor einem Schaufenster stehen, in dem ein einziges blaues Kleid hängt. Das Kleid wird von mikrofonähnlichen ausfahrbaren Metallstangen attackiert. Aber so sehr die Angreifer es auch zerknittern – immer wieder wippen die Rockfalten trotzig in die Senkrechte zurück. Als ob das Kleid sagte: Ätsch, Mode ist eben doch stärker.
Das Festival „Wedding Dress #2“ will „urban fashion and arts“ in den Wedding bringen, dorthin, wo normalerweise Schluss mit lustig ist. Wo sich viele MigrantInnen und EckensteherInnen die wenigen Jobs teilen, die im ehemaligen Arbeiterbezirk übriggeblieben sind. Wo man eher in Sechziger- als in Zwanzigerjahre-Bauten haust, seine Schrankwand bei „Akan Möbel“ kauft und abends schnell zum Spätkauf huscht. Bis Mauerfall gehörte die Brunnenstraße genau bis zur Bernauer Straße zu Ostberlin, darüber hinweg wurde sie breit, hochhauslastig und unpersönlich. Touris, Mitte- und PrenzlberginvasorInnen, Zeitgeist- und Caffè-Latte-Jünger schlendern auf ihr heute selten weiter als bis zu jener Kreuzung, dort machen sie auf dem Turnschuhabsatz kehrt und gehen zurück in den bekannten, längst eingenommenen Osten.
Aber dort oben steht – das war schon zu Mauerzeiten so – massenhaft Gewerbefläche leer, und weil es zum Szenewunderland nur ein Katzensprung ist und außerdem die Fashion Week noch mehr Neugierige als sonst anlockt, versuchen die MacherInnen, die „künftige Entwicklung des Brunnenviertels erlebbar zu machen“. 25 teilweise temporäre, teilweise aber auch (seit dem ersten Wedding-Dress-Festival vor drei Jahren) fest angemietete Ladenlokale bieten dazu das Programm, das einerseits etwas mit Mode, andererseits mit dem Standort zu tun haben soll: Designermode, Kunst und Zukunft im Wedding. Ein amtlicher Spagat, und eine große Herausforderung.
„Man kann das nur gemeinsam gestalten“, sagt Festivalsprecherin Alice von Schroeder, und gibt zu, dass das Wohnungsunternehmen Degewo, dem rund 5.000 Wohnungen im Bezirk und die Läden im Brunnenviertel gehören, sie natürlich nicht komplett uneigennützig unterstützt: Auf längere Sicht betrachtet kann die Degewo durch die Aufwertung des Kiezes nur gewinnen. Bei dem ausgerufenen Wettbewerb „Create your own wedding space“ werden die drei besten Konzepte für einen neuen Laden jedweder Couleur (vermutlich außer Puff, Spielhölle und Sportwettenladen) mit einem Jahr Miet- und Betriebskostenbefreiung plus Geldpreise honoriert. Schön für die GewinnerInnen, auch schön für die Degewo, die ansonsten drei leere Läden mehr hätte.
Man könnte zum Beispiel einen Raum für seine Netzprojekte nutzen, wie der junge kanadische DJ, Fotograf und Blogger Darryl Natale, dessen Festivalbeitrag „Street Clash“ eine Vernetzung internationaler Street-Fashion-Blogs und -Seiten ist, aus denen durch ein öffentliches Voting die weltbest- oder zumindest am modebewusstesten angezogenen StädtebewohnerInnen gewählt werden. Der Wedding darf und soll antreten – Natale fotografiert auch auf der Straße, und wer seine Weddingpalme mit besonders viel Chuzpe trägt, kann sich gleich bei einer Modelagentur gegenüber melden.
Ein paar Läden weiter zeigt die Künstlergruppe „Transforma“ Experimentalfilme, die nach Computeranimation aussehen, in Wirklichkeit aber eifrig hüpfende Menschen in angeklebten Plastikkostümen zeigen – ein Anachronismus, der der rhythmischen Video-Art sympathischen Retroduft verleiht. Die Festival-Cafés fallen zwischen den beschlagenen Weddinger Imbissbuden vor allem durch Transparenz und Weite auf und kommen damit an – „die Jugendlichen hier sehen das meistens ganz positiv“, sagt von Schroeder, schließlich werden viele Modeideen des Festivals auf das Teenskleidungsstück Nr. 1, das T-Shirt, gedruckt, und auch eingeborene GraffitikünstlerInnen haben vermutlich wenig gegen eine schnieke Lounge mit Plastikmöbeln, Hotspot und entspannten Beats.
Trotzdem verirren sich bislang eher selten AnwohnerInnen in die manchmal etwas erklärungsbedürftigen Konzeptläden – es wird noch wachsen, sagt von Schroeder, und weist auf die spezielle Ansprache für modeinteressierte SchülerInnen hin. Eine teilnehmende Agentur bietet Berufsberatung, um Modeflausen in oder aus Köpfen zu treiben. Abends gibt es Partys und Performances wie das gemeinsame Falzbildererstellen der Gruppe „Inkonferenz“.
Um Ideen so intuitiv wie möglich und trotzdem in Kommunikation mit anderen zu entwickeln, malt jeder ein Teil eines Bildes, das dann umgeklappt wird – kennt man aus dem Kindergarten, ist immer ein Spaß. Passend zum Modethema hat Inkonferenz außerdem den Vortrag eines Posamentenherstellers initiiert – eine Verbeugung vor dem skurrilen, aussterbenden Handwerk des Kordeln-mit-Troddeln-dran-Bastelns, das im Wedding eigentlich richtig gut aufgehoben wäre. Aber – auch der Posamentenhersteller musste vor Jahren ins Berliner Nahgebiet umziehen.
Programm: www.weddingdress2.de