: Rot-Rot-Grün – gut und sinnvoll?
Nein
Mit der Linken in Hessen eine Koalition oder eine Tolerierung zu veranstalten – das kommt überhaupt nicht in die Tüte. Da soll die linksdogmatische Laienspielschar noch ein bisschen Parlamentarismus üben, ehe sie auf Regierung in einem der wichtigsten Bundesländer macht.
In Bremen dauerte es nicht lange. Gerade war Gysis bunte Truppe in die Bürgerschaft eingezogen, da wurde es dem einen oder anderen auch schon zu bunt. Die Parteibasis rebellierte gegen die freihändige Vergabe gut dotierter Fraktionsjobs. Dabei waren die Linken als moraltriefende Saubermenschen ins Landesparlament eingezogen!
Wieder ein paar Wochen später hing der Haussegen bei der Bremer Linken derart schief, dass böse Verdächtigungen aus der Minifraktion herauströpfelten. Sexskandal, sexuelle Belästigung, hieß es, später heruntergestuft auf Stalking – in der Fraktion wurden schlüpfrige Mails und Kurzbotschaften versandt. Mehrfach musste der Linken-Spitzenmann Bodo Ramelow aus Berlin anreisen, um die Genossen am Ostertor zur Räson zu bringen. Die anschließend herausgegebenen Bulletins lasen sich, als ginge es in der Bürgerschaft, Abteilung links, um Leben und Tod.
Okay, Bremen ist nicht Hessen. Vielleicht ist die Mischung aus Dogmatikern, Friedensengeln und Basisdemokraten am Main ja eine andere als an der Weser, kann sein. Es spricht aber, siehe die chaotische Listenaufstellung in Hessen, nicht viel dafür. Nein, mit denen, die behaupten, sich da links von der SPD etabliert zu haben, ist Politik schwer zu machen, Staat schon gar nicht.
Aber in Hessen muss man Staat machen. Denn Hessen ist nicht Bremen, sondern Nettozahler in den Länderfinanzausgleich. Aus dem hessischen Steuersäckel fließen dank der harten Sanierungsarbeit von Roland Kochs sozialdemokratischem Vorgänger Hans Eichel alljährlich rund drei Milliarden Euro in jene Ausgleichskassen, die dazu da sind, dass in Arme-Schlucker-Ländern wie Bremen die Lichter nicht ausgehen. Will man in diesem Hessen, bitte schön, einem Trüppchen Regierungsverantwortung in die Hand geben, dass sein Leben lang wacker, aber vergeblich abstrakte Prinzipien in die Höhe gehalten hat? Unmöglich. Es wäre schädlich für alle Seiten – für das Land, für die Linke sowieso, vor allem aber für das reichlich amorphe rot-grüne Projekt, das in Hessen angeblich wiederaufersteht.
Auch inhaltlich ist die die Linke eine Katastrophe. Sie behauptet, mit den Textbausteinen von vorgestern Antworten für morgen geben zu können. Dabei sagen all die platten Formeln, die in ihrem Programm herumstehen, wenig über die gesellschaftliche Realität. Zum Beispiel beim angeblichen Megathema der Wahl, der Bildung.
Klar möchte man Chancengleichheit haben, logisch kann und soll eine Gemeinschaftsschule darauf eine Antwort sein. Aber bitte nicht in so ordinären Lettern wie bei der Linken. In Hessen (und in Nordrhein-Westfalen) wurde in den Siebzigerjahren durch eine überhastete, nicht ausreichend legitimierte Einführung von Gesamtschulen das Projekt „demokratische Schulstruktur“ für Jahrzehnte kaputt gemacht. Wer nun, wie die Linke, behauptet, er könne mir nichts, dir nichts Gemeinschaftsschulen flächendeckend oktroyieren, der soll alles Mögliche bekommen – nur keinen Einfluss auf Bildungspolitik.
Hessen, so heißt es, sei Beweis und Exerzierplatz für die neue Gestalt des Parteiensystems, eines fünfgliedrigen nämlich. Diese Fünferkonstellation vertrage keine schroffen Abgrenzungen, vielmehr seien neuartige Mehrheiten einzuüben. Da ist schon der Grundgedanke ein falscher. Das Fünfparteienparlament ist nicht Anfang einer linken Mehrheit im Lande, sondern vorläufiges Ende einer linken, nämlich rot-grünen. Wir erinnern uns: Das konservative Wahlvolk der Hessen war es, das Joschka Fischer und Gerhard Schröder im Jahr 1999, nach nur wenigen Monaten Amtszeit, ihre erste und schwerste Niederlage beibrachte. Damals ging es um die Modernisierung der Staatsbürgerschaft, ein überfälliges Vorhaben. Dennoch verhinderten die hessischen Wähler die Sache, auch die exzellenten Wirtschaftsdaten der rot-grünen Landesregierung konnten sie nicht umstimmen. Und ausgerechnet dort soll nun Rot-Rot-Grün getestet werden? Nach einem Fotofinish zwischen SPD und CDU bei der Landtagswahl? Was für ein Unsinn! CHRISTIAN FÜLLER
Fotohinweis: CHRISTIAN FÜLLER, 44, ist Redakteur im Schwerpunktressort der taz und beschäftigt sich vor allem mit dem Thema Bildung.
Ja
SPD und Grüne sollten den Versuch wagen, sich in Hessen von der Linken tolerieren zu lassen. Denn die wird so schnell nicht verschwinden, sie bindet Wähler, die die SPD bis auf Weiteres verloren hat, und die inhaltlichen Gemeinsamkeiten sind groß. Alles andere ist realitätsfremd.
Die SPD hat die Linkspartei im Westen und im Bund bislang ignoriert und beschimpft. Sie hat die neue Konkurrenz zur Chaotentruppe und unverbesserlichen Altkommunisten erklärt. Sie hat ein Schwarzbuch über die Linksfraktion herausgegeben, sie zu „sogenannten Linken“ gestempelt und öffentlich geschworen, nie mit ihr zu koalieren. Das beeindruckende Ergebnis dieser Strategie lautet: In Bremen, Hessen und Niedersachsen ist die Linkspartei ins Parlament eingezogen, in Hamburg wird sie es wohl demnächst tun. Die Westausdehnung schreitet voran. In Umfragen liegt sie bundesweit konstant um zehn Prozent.
Die Linkspartei im Westen ist Realität – und sie wird nicht verschwinden, nur weil Kurt Beck sich die Augen zuhält. Und noch in einer weiteren Hinsicht waren Wahlen in Hessen und Niedersachsen für die SPD überaus deprimierend: Obwohl die SPD in Hessen einen klugen, auf Gerechtigkeitsthemen zielenden Wahlkampf inszenierte, hat sie bei Arbeitslosen und Arbeitern kaum gewonnen. Teile jener Stammklientel, die Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 vertrieben hat, haben der SPD zumindest auf absehbare Zeit den Rücken gekehrt.
Es existiert ein Fünftel der Gesellschaft, das den Aufschwung nur aus der Zeitung kennt und für die SPD nur noch begrenzt ansprechbar ist. Offenbar schwinden unter den Bedingungen eines globalisierten, verschärften Kapitalismus und einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich die Integrationskräfte der SPD. Das muss, wie etwa Schweden zeigt, wo die Sozialdemokratie mit einer kleineren linken Konkurrenz manchmal Bündnisse eingeht, kein Drama sein. Dazu wird es nur, weil Kurt Beck der SPD einen Gesinnungskrampf verordnet hat, der die Partei unflexibel und hilflos erscheinen lässt.
In Hessen könnte ausprobiert werden, ob eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit funktionieren kann. Unüberwindliche inhaltliche Hindernisse sind nicht erkennbar. Im Landtag wird nicht über Bundeswehreinsätze, sondern über Schulpolitik entschieden. Und es gibt Ziele in der Bildungs-, Sozial- und Energiepolitik, die Rot-Rot-Grün verbinden.
Die Aufgabe der SPD in Hessen ist es nun, auszuloten, ob eine Zusammenarbeit mit der Linksfraktion möglich ist. Dazu muss sie mit ihr reden, verhandeln, kurz: Politik machen.
Eine Koalition steht nicht zur Debatte, und natürlich wäre bereits eine Tolerierung von Rot-Grün ein riskantes Unternehmen, zumal Rot-Rot-Grün nur eine knappe Mehrheit von zwei Stimmen hätte. Außerdem neigt die Linkspartei West zum Überideologisierten, das sich bislang nicht in kommunalpolitischer Praxis abgeschliffen hat, weil es eine solche Praxis kaum gab. Doch falls sich die Linkspartei in einem Annäherungsprozess in Hessen als Haufen politikunfähiger Dogmatiker erweisen sollte, wird das nicht der Schaden der SPD sein. Im Gegenteil, dann könnte sie der Öffentlichkeit plausibel machen, dass Stimmen für die Linkspartei wirklich verlorene Stimmen sind.
Das eiserne Nein der SPD verrät nicht Stärke und Weitsicht, sondern Schwäche. Ihre ostentative Nichtbeachtung der Linkspartei ist nicht etwa eine plumpe, aber erfolgreiche Strategie – im Gegenteil. Gerade die schroffe Ausgrenzung lässt die Linkspartei interessant erscheinen.
Die Linke, die im Westen noch eine wackelige Organisation ist, ist genauso wie die Ex-PDS im Osten eine eher defensive – oder neudeutsch: sozialkonservative – Partei. Verglichen mit den wilden Grünen, die in den frühen Achtzigerjahren in Hessen eine SPD-Regierung tolerierten und deren Abgeordneter Frank Schwalba-Hoth unter Beifall der Grünen im Landtag 1983 einen US-General mit Blut bespritzte, ist die Linksfraktion in Hessen eine ordentlich wirkende Truppe, die einen recht sozialdemokratisch anmutenden Etatismus vertritt. Auch wenn sie manche ihrer Ideen mit einem etwas anstrengenden Weltverbesserungstremolo unterlegt, kann Rot-Rot-Grün ein vernünftiges Politikmodell werden.
Wovor also hat die SPD Angst? Wahrscheinlich vor einer Anti-Volksfront-Kampagne, die die CDU in der Tat sofort entfachen würde. Allerdings zeigt der spektakuläre Misserfolg der Koch-Kampagne gegen „Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten“, dass solche Retroinszenierungen nicht funktionieren müssen. Das 20. Jahrhundert ist vorbei.
Rot-Grün, toleriert durch die Linkspartei, wäre einen Versuch wert. Er scheitert derzeit nicht an der doktrinären Verhärtung und erwiesenen Unfähigkeit der Linkspartei, sondern an der Politikverweigerung der SPD. Beck hat die Partei auf die Losung „Niemals mit der Linkspartei im Westen“ festgenagelt. Dieser Strategie wird es genauso ergehen wie Rudolf Scharpings Doktrin in den Neunzigern, nie mit der PDS im Osten zu koalieren: Früher oder später wird sie der praktischen Vernunft weichen. Wie es aussieht, leider später.
STEFAN REINECKE
Fotohinweis: STEFAN REINECKE, 49, ist Autor der taz. Er beschäftigt sich vor allem mit Innenpolitik, Parteien und Geschichtspolitik.