: Beckmann macht Schule
Nachdem TV-Moderator Reinhold Beckmann über Stress am Gymnasium klagt, bewegt sich die CDU: Ole von Beust will persönlich für weniger Stunden kämpfen, Lehrpläne sollen „entschlackt“ werden
2002 begann der erste Jahrgang mit der Schulzeitverkürzung: Die damaligen Fünftklässler werden 2010 Abitur machen – ein Jahr früher. Dafür hat die Behörde in den Klassen 5 bis 10 den Unterrichtsstoff verdichtet. Die Vereinigung der Elternräte an Hamburgs Gymnasien erhob 2006, dass ein Drittel dieser Kinder wegen der Schule auf Sport verzichtet, die Hälfte sogar auf Verabredungen mit Freunden. 42 Prozent klagten über Stresssymptome wie Müdigkeit, 22 Prozent über Kopf-, acht Prozent über Bauchschmerzen. KAJ
VON KAIJA KUTTER
Schulpolitik trifft auch die Kinder der Einflussreichen. So beschert die Schulzeitverkürzung an Hamburgs Gymnasien offenbar auch Prominenten-Nachwuchs 40- bis 50-Stundenwochen und Dauerstress in den Familien. TV-Moderator Reinhold Beckmann platzte nun der Kragen. „Das verkürzte Abitur, damit werden die Kinder alle überfordert“, sagte er am vergangenen Montag, einen Tag nach der Hessenwahl, in seiner Talkshow.
Dies sei auch in Hamburg ein Riesenthema, so Beckmann: „Ich spreche da als Vater eines 14-jährigen Sohnes und einer 10-jährigen Tochter.“ Durch den stärkeren Leistungsdruck seien die Kinder nach 40 bis 50 Wochenstunden „völlig gestresst und kaputt“. Von den Behörden werde Riesendruck auf die Lehrer ausgeübt, sagte Beckmann: „Die geben ihn weiter an die Schüler und an die Eltern. Viele Eltern sind frustriert.“ Was den Kindern heute fehle, seien die berühmten drei F: „Freunde, Freizeit und auch mal Faulenzen“.
Damit hatte der Fernsehmoderator der Stadt ein Wahlkampfthema beschert: Prompt beschwerten sich in Bild und Morgenpost Eltern und Schüler über die Auswirkungen der 2002 begonnenen und seither Jahr für Jahr mehr Schüler betreffenden Abitursverkürzung. Weitere Prominente wie Rolf Zuckowski und Carlo von Tiedemann meldeten Kritik an: „Unseren Kleinen“, klagt etwa der NDR-Quizmaster Tiedemann, „wird die Kindheit geraubt.“
Zeit zum Handeln für Ole von Beust. Der CDU-Bürgermeister persönlich, so war am Freitag aus der Bildungsbehörde zu erfahren, wolle sich auf der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz für eine bundesweite Reduzierung der Schulstunden einsetzen. Bislang schreibt die Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder vor, dass Gymnasiasten von der 5. Klasse bis zum Abitur insgesamt 265 Wochenstunden absolvieren müssen. Durch den Wegfall des 13. Schuljahres führt das zu dem nun beklagten Wochenpensum von 34 Stunden – zuzüglich Hausaufgaben. Hamburgs Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig habe 2007 mit ihrer saarländischen Kollegin vergeblich versucht, diese Zahl um 14 Stunden zu senken, sagt Alexander Luckow, Sprecher der Bildungsbehörde. „Das ist aber an den Südländern gescheitert.“ Nun werde von Beust das Thema mit dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) besprechen. „Die Erkenntnis, dass es hier zu Überforderungen kommt“, sagt Luckow, „breitet sich aus.“
Darüber hinaus sollen „noch im Februar“, also vor der Wahl, alle Gymnasien entschlackte Lehrpläne für alle Fächer bekommen. So soll beispielsweise in Geschichte für Klasse 9 der Bildungsplan von 14 Seiten auf nur noch eine reduziert werden. Luckow: „Da steht dann nur noch drin, welche Kompetenzen erwartet werden, erläutert an zwei, drei verständlichen Beispielen.“ Auch bei den Fremdsprachen wie Französisch „war ganz offensichtlich das, was verlangt wurde, zu hoch angesetzt“, sagt Luckow. „Das führte dazu, dass die Kinder die Lust an der Sprache verlieren.“
Edda Georgi vom Vorstand der Hamburger Elternkammer warnt seit 2004 vor den Auswirkungen des schnelleren Wegs zum Abitur. Für sie kommen die Maßnahmen der Bildungsbehörde „reichlich spät“: Die Stundenreduzierung hätte vor der Schulzeitverkürzung passieren müssen, sagt sie. Und bis die Schüler von den geänderten neuen Lehrplänen profitierten, werde es „Jahre“ dauern, sagt sie voraus.
SPD und Grüne werfen Senatorin Dinges-Dierig sogar vor, sie stehle sich aus der eigenen Verantwortung. „Es war bekannt, wie viele Stunden auf die Kinder zukommen“, sagt GAL-Spitzenkandidatin Christa Goetsch. „Die CDU hat sich bewusst dafür entschieden, statt vorher um bessere Rahmenbedingungen zu kämpfen.“ Goetsch hält zudem den neuen Kurs für unglaubwürdig. Hatte Dinges-Dierig doch erst vor zwei Wochen die 34-Stunden-Woche an Gymnasien als wichtiges Unterscheidungsmerkmal gegenüber der künftigen Stadtteilschule genannt. Deren Schüler, so heißt es in Dinges-Dierigs Eckpunktepapier, könnten Dank einer 30-Stunden-Woche auch außerunterrichtliche Aktivitäten wahrnehmen.