Es gibt viele Kevins

Das Universitätsklinikum in Hamburg-Eppendorf stellte an die 90 Fälle von Kindesmisshandlung im Jahr 2007 in Hamburg fest. Nun streiten die Parteien über Pflichttermine beim Kinderarzt

VON KAIJA KUTTER

Brutale Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern gehören in der Millionenstadt Hamburg noch immer zum Alltag. Das verdeutlichen am Montag veröffentlichte Zahlen der Uniklinik Eppendorf. Dort wurde 2005, nach dem Tod der siebenjährigen Jessica, unter dem Namen Kompt ein neues Ärztezentrum gegründet, in dem Kinder beim Verdacht auf Vernachlässigung, Kindesmissbrauch und sexuellen Missbrauch untersucht wurden.

Seit März 2007 wertet dort eine Wissenschaftlerin die Fälle aus. Erstes Fazit: In den elf Monaten bis Januar 2008 wurden den Ärzten 148 Verdachtsfälle vorgestellt, die sich bei 60 Prozent der Kinder, also in rund 90 Fällen, bestätigten. Darunter waren 103 Verdachtsfälle wegen körperlicher Misshandlung, 36 wegen sexuellen Missbrauch, 20 wegen Vernachlässigung und zwei wegen seelischer Misshandlung. Da bislang überwiegend Jugendämter und kaum niedergelassene Kinderärzte die Fälle melden, vermuten die Ärzte hier nur die Spitze des Eisbergs.

Die Zahlen wurden am Montag im Hamburger Abendblatt veröffentlicht, illustriert mit dem Foto eines grausam verbrühten Fußes einer Zweijährigen, die die Eltern in kochendes Wasser gestellt hatten. Daneben das Bild eines achtjährigen Jungen, dessen Rücken und Arme mit Striemen übersäht sind.

Die Uniklinik Eppendorf relativierte den Bericht. „Eine Studie gibt es noch nicht, die ist erst im April fertig“, sagt UKE-Sprecherin Maren Puttfarcken. Gleichwohl seien die Zahlen korrekt.

Die Mitarbeiter des Zentrums möchten nicht in den Strudel des Hamburger Wahlkampf geraten, in dem Kinderschutz ein Thema ist. Ihr Ziel ist es laut einer Selbstdarstellung, den Kindern zu helfen und drohende weitere Misshandlungen abzuwehren. So würden Kinder in bestimmten Fällen regelmäßig zur Kontrolluntersuchung geladen. Das solle Jugendämtern die Entscheidung erleichtern, ob man bestimmte Kinder in ihrer Familie lassen könne. Und außerdem gebe es Fälle, besagte 40 Prozent, in denen Eltern durch die Untersuchung vom Verdacht freigesprochen werden.

Bislang wurde Kompt überwiegend durch Spenden finanziert. CDU-Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram erklärte nun, ihr Haus werde die Finanzierung ganz übernehmen, um diesen wichtigen Baustein des Kinderschutzes zu gewährleisten.

Für die Opposition hingegen belegen diese Zahlen, dass noch nicht genug für den Kinderschutz getan wurde. „Jeder dieser hier erwähnten Fälle ist einer zu viel“, sagt die Grüne Jugendpolitikerin Christiane Blömeke. Sie will „das Netz noch dichter knüpfen“ und fordert ebenso wie ihr SPD-Kollege Dirk Kienscherf verbindliche Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt.

Der Sozialdemokrat will am Mittwoch in der Hamburger Bürgerschaft ein Gesetz einbringen, das Eltern, die partout nicht mit ihrem Kind zu dieser ärztlichen Routineuntersuchung erscheinen, einen Hausbesuch beschert. Schnieber-Jastram lehnt dies ab, weil sie hier „Datenschutzprobleme sieht“, wie ihre Sprecherin erklärt. Sie setzt dagegen auf eine bundesweite Regelung, die auch die Kassen einbezieht.

Im Norden ist die CDU-Senatorin mit dieser Haltung isoliert, bereiten doch sowohl Schleswig-Holstein als auch Niedersachsen gerade ein „verbindliches Einladewesen“ für Vorsorgeuntersuchung auf Landesebene vor.