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Archiv-Artikel

DIE TÜRKISCHE LEGALISIERUNG DES KOPFTUCHS BEHINDERT DIE DEMOKRATIE Freiheit zur Repression

In der Türkei beginnt eine „konservative Gegenrevolution“ von oben. Sie richtet sich gegen die kemalistischen Reformen, die im Namen der Aufklärung für einen weitgehenden Atheismus plädierten. Da sie so radikal ausfällt wie ihr Gegenstück, suchen die Demokraten und die Linke zu Recht nach einem dritten Weg zwischen den Islamisten und den autoritären „Altkemalisten“. Dringend brauchen sie in diesem Kampf die Hilfe der Demokraten Europas.

Das Problem hat philosophische und juristische Dimensionen. Die islamisch-konservativen Kreise argumentieren, dass in einer Demokratie jeder die Freiheit habe, sich anzuziehen, wie er oder sie möchte: „Studentinnen sind volljährig und dürfen verhüllt in die Hörsäle.“ Ja, natürlich! Aber schon fügt der berühmte islamische Intellektuelle Ali Bulac hinzu: „In Europa sind Mädchen erst mit 18 volljährig, im Islam beginnt die Entscheidungsfreiheit der Kinder mit neun Jahren.“ Daher müssen sich schon Neunjährige verhüllen.

Weder der Bildungsgrad noch das Wohlstandsniveau in der Türkei rechtfertigen eine abstrakte Diskussion: Vielerorts werden die Mädchen zwangsweise verhüllt; der Druck auf die „offenen“ Frauen ist nicht nur psychischer Natur, sondern auch gut organisiert. Innerhalb der letzten fünfzehn Jahre haben sich fast ausnahmslos alle Mädchen in den Vorstädten Istanbuls und sehr viele in Anatolien „verhüllt“ – aus freien Stücken? Von individueller Freiheit, Demokratie und Laizismus kann keine Rede sein, wenn eine Regierungspartei die Definitionshoheit über die Inhalte der Religion für sich beansprucht – schlimmer noch: ihre religiöse Agenda durch die vom Kemalismus übernommenen autoritären Strukturen effizient umsetzt. Dabei war diese Regierung mit dem Versprechen angetreten, die Demokratie zu fördern. Jetzt ist es an der Zeit, sie an dieses Versprechen zu erinnern. Denn de facto hat die Legalisierung des Kopftuchs mit Emanzipation nichts zu tun. Und auch der EU-Beitritt rückt nicht näher, wenn die Mehrheit der türkischen Frauen sich ein Kopftuch umbindet.

DILEK ZAPTCIOGLU