: Prinzipiell gesund
Der Psychologe Edward Podvoll will den Umgang mit Psychosen mit einem Ansatz zwischen westlicher Psychologie und östlicher Spiritualität revolutionieren. Edgar Hagens Dokumentation „Someone Beside You“ zeigt seine Methoden
Wir alle können plötzlich unseren Verstand verlieren, durchdrehen, ausrasten. Ein Todesfall oder eine andere Extremsituation, und plötzlich findet sich der beste Freund, bis dahin ein offenkundig „Normaler“, in einer geschlossenen psychiatrischen Station wieder. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation befinden sich weltweit 500 Millionen Menschen in einem geistigen Zustand, der gemeinhin als psychische – bisweilen unheilbare – Erkrankung gilt. Eine Erkrankung, deren vermeintliche Ursachen zunehmend mit molekularbiologischen Theorien – Gehirnchemikalien, Genexpression, Einfluss der Umwelt auf das Gehirn etc. – erklärt werden. Und als deren effektivste Behandlungsmethode zunehmend psychopharmazeutische Medikamente gelten. Nicht die Heilung des Zustandes, sondern das Management der mit ihm einhergehenden Risiken für Betroffene und Gesellschaft hat sich die biologische Psychiatrie auf die Fahnen geschrieben.
Einen ganz anderen Ansatz vertreten der US-amerikanische Arzt, Psychiater und Psychoanalytiker Edward Podvoll – der sich nach einem zwölfjährigen Aufenthalt in einem buddhistischen Kloster zudem als Lama versteht – und der Züricher Psychiater und Psychotherapeut Jakob Litschig. Wer seinen Verstand verliert, so ihre These, kann ihn auch wiederfinden. Psychische Extremzustände seien kein Ausdruck einer wie auch immer zu erklärenden und zu behandelnden Krankheit, sondern eine spirituelle Krise. Dahinter steht ein Konzept grundlegender geistiger Gesundheit, die Idee, dass alle Menschen zu jeder Zeit das Potenzial geistig klarer Momente besitzen. Egal wie verwirrt, ängstlich oder psychotisch, ein Auftauchen aus diesem Zustand sei immer möglich.
Für diesen Aspekt des Wahnsinns – den Weg heraus – interessiert sich auch der unabhängige Filmemacher Edgar Hagen. In seiner Dokumentation „Someone Beside You“, seinem dritten langen Dokumentarfilm, begleitet er Podvoll und andere Ärzte, Psychiater und Psychologen, die von seinen Thesen und seinem „ganzheitlichen“ Ansatz zur Behandlung von Psychosen – dem Windhorse-Projekt – inspiriert worden sind, sowie deren ehemalige oder gegenwärtige PatientInnen für mehrere Monate auf einer zugleich geistigen und physischen Reise. Wie ein Road Movie macht sich der Filmemacher in Gesprächen in Autos oder Wohnmobilen auf die Suche nach dem schrittweisen Weg der ProtagonistInnen heraus aus dem Wahnsinn.
Eine dieser ProtagonistInnen ist die 54-jährige Karen. Bereits im College erlebt sie ihre ersten Psychosen, im Alter von 21 Jahren wird sie für drei Jahre in einer renommierten Privatklinik eingeschlossen. Von den Ärzten wird ihr bescheinigt, dass ihr Geist unheilbar krank ist. Als einziger Ausweg erscheint die Flucht. Karen springt aus dem zehnten Stock eines Hochhauses – und überlebt. Sie wird die erste Klientin des Windhorse-Projektes, nach wenigen Monaten ändert sich ihr Zustand. Heute lebt sie ohne Psychopharmaka ein selbstbestimmtes Leben. Gemeinsam mit Podvoll begibt sie sich auf eine Reise zu den Orten ihrer traumatischen Erlebnisse.
Wie Karens Heilungsprozess indes genau vonstatten ging, darüber erfährt man im Film nichts. Und auch die kritiklos gepriesene Theorie des mittlerweile verstorbenen Podvoll wird nicht näher erläutert. Die Stärke von Hagens Film liegt denn auch in dem Blick, den er auf Menschen mit Psychosen wirft. Nicht unheimlich und fremd erscheinen sie, sondern als Menschen mit extremen Erfahrungen, denen zuzuhören lohnt.
ROBERT MATTHIES
So, 10. 2., 11 Uhr und So, 17. 2. 11 Uhr, Zeise Kinos, Friedensallee 7–9