: Das Geschäft mit den „Mummy-Jobs“
Die „Ressource Kind“ ist wieder sehr gefragt, sogar zum Wohle der Nation. Gegenbilder zur Verklärung der Familienidylle hat sich die Galerie Barbara Thumm in der Ausstellung „Mutti ist böse“ vorgenommen. Robinson Crusoe hilft beim Nachdenken über kindliche und andere Allmachtsfantasien
VON HENRIKE THOMSEN
Kinder und Kindheit werden gerne überzuckert dargestellt, zumal, wenn eine Gesellschaft die Nachwuchsproduktion ankurbeln möchte. Oder aber sie werden rationalisiert, als die erwachsenen Verantwortungsträger von morgen angesprochen wie in der neuesten Variante der „Du bist Deutschland“-Kampagne – auch hier mit dem unverhohlenen gesellschaftspolitischen Ziel, die „Ressource Kind“ für das Bestehen der Nation im internationalen Wettbewerb zu sichern.
An die tiefe Fremdheit und Andersartigkeit, die Kindsein auch bedeutet, rührt man dagegen weniger gern. Die Abgründe und Ängste, die der Nachwuchs bei seinen Erzeugern auslösen kann, wird in die Misshandlungs- und Vernachlässigungsdebatte über „Rabeneltern“ abgeschoben. Dabei ist jede Eltern-Kind-Beziehung äußerst ambivalent und von gegenseitiger Liebe ebenso geprägt wie von dunklen Gefühlen. Und je höher die Erwartungen an die Kinder sind, desto jäher muss auch dieses Gefälle werden. Daran zu erinnern ist das Verdienst der eindringlichen Ausstellung „Mutti ist böse“ in der Galerie Barbara Thumm, kuratiert von Angelika Richter.
Am Eingang wartet eine Giraffe aus einem Kinderkarussell, auf deren Hörner eine Pistole gerichtet ist. Beim Nähertreten setzt sich die Installation von Kris Vleeschouwer in Bewegung: Die Giraffe ruckelt und blinkt, die Pistole schwenkt aus und richtet den Lauf auf den Betrachter selbst. Nebenan zeigt Yael Davids Video einen Jungen, der hilflos eingezwängt in einem großen bunten Ball auf dem Boden liegt. Wie eine Exposition umreißen die Arbeiten das Thema: Der Gefangene seines eigenen Spielzeugs gemahnt an die Unschuld und Hilflosigkeit von Kindern, warnt aber gleichzeitig davor, sie mit einem putzigen Objekt zu verwechseln. Die Giraffe dagegen ist nur ein scheinbar hilfloses Opfer, sie wendet die Gewalt des Blicks auf den erwachsenen Besucher der Galerie zurück.
Ringsum an den Wänden dominieren in den Grafiken von Johnny Miller bedrohliche erwachsene Charaktere mit Masken oder Narrenkappen. In einer Szene befördert ein muskulöser Mann in rot gepunkteten Shorts einen anderen, der eine Eselsmütze trägt, gewaltsam zum Essen auf einen Stuhl – ein Verweis darauf, dass auch in späteren Partnerschaften die alten Kindheitsmuster das Verhalten prägen. Die deutsche Filmkünstlerin Jeanne Faust, die für den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst 2007 nominiert war, gibt Einblicke in ihr eigenes Familienleben. Ein Foto zeigt das Baby auf der Waschmaschine liegend, sorgsam auf ein Handtuch gebettet, aber von der Mutter unbeachtet. Das Fenster ist mit Stäben vergittert, ihr Blick scheint ein wenig über die Seiten ihres Buches ins Leere zu gehen. In anderen Bildern misst Faust den Umfang ihres Busens oder zeigt Beine voller blauen Flecken, während ihr Mann zusieht. Faust erinnert daran, dass die Ideale einer aktiven, jugendlich schönen Frau und der hingebungsvollen Mütterlichkeit schwierig zu vereinen sind. Doch viele Frauen versuchen verzweifelt, beidem gerecht zu werden: Die Schönheitschirurgie hat in „Mummy Jobs“, die die Auswirkungen der Schwangerschaft rückgängig machen sollen, ein neues Geschäft gefunden.
Der aus Israel stammende Guy Ben Ner, zuletzt in der daadgalerie und in der Ausstellung „History will repeat itself“ in den Kunst-Werken zu sehen, hat einen Literaturklassiker als Küchentheater umgesetzt. Auf dem Boden vor Kühlschrank und Herd dient ein aufgeschütteter Sandhaufen als Insel, und selbst als seine kleine Tochter hinzukommt, beendet der Künstler nicht die Rolle des einsam gestrandeten Robinson Crusoe. Wie zuvor mit „Moby Dick“ hat Ben Ner eine Hommage an die Fantasie gedreht.
Zugleich entdeckt er den Reichtum der Beziehungen zwischen Vater und Tochter gerade auch in ihren unterschwelligen Ambivalenzen, im Abenteuer ihres merkwürdigen nächtlichen Treibens. In einer Sequenz lässt er einen singenden Schwanz auftreten, der mit zwei aufgeklebten Augen in die Kamera zu zwinkern scheint, während die von den Fingern des Künstlers geführte Öffnung einen Karaoke-Song schmettert. Dieses Bild wäre in jedem anderen Kontext undenkbar und würde den Verdacht der Pädophilie oder des Inzests heraufbeschwören. In der Ausstellung aber wirkt es viel ehrlicher als all die bemühten Bilder von Kindern und Eltern, die uns offiziell derzeit umgeben.
Galere Barbara Thumm, Dircksenstr. 41., Di.–Fr. 11–18 Uhr, Sa. 13–18 Uhr, bis 8. März. Info: www.bthumm.de