Die ist ja nackt! Venus verstört London

Der Wahnsinn scheint ansteckend. Nacktheit wird wieder mit Verboten belegt: diesmal mitten in London, das man gar nicht auf der Seite der Strenggläubigen wähnte. Ein Plakat, das mit der vor fast 500 Jahren gemalten Venus von Lucas Cranach für eine Ausstellung wirbt, die das Städel Museum Frankfurt am Main an die Royal Academy London ausleiht, haben die Verkehrsbetriebe der Londoner U-Bahn aus ihren Bahnhöfen verbannt. Zum fürsorglichen Schutz der Reisenden „vor Verstörung“, behaupten sie. Man kann sich nicht genug darüber wundern. Dass gerade dieses Poster nach einem nur 37,7 mal 24,5 Zentimeter kleinem Bild mehr Potenz zur Verstörung bergen soll als die nicht mehr zählbaren Werbeplakate, die alles Mögliche über Sex verkaufen. Dass das erotische Versprechen, das der Maler Lucas Cranach in der allegorischen Gestalt der Göttin mit einem weniger verhüllenden denn den Blick lenkenden Schleier raffiniert gestaltet hat, so realistisch und naiv verstanden wird. Dass nicht einmal der Status, zum Kanon der Kunstgeschichte zu gehören, das Bild vor einer Entscheidung bewahrt hat, mit der sich ein großes Unternehmen ganz schön blamiert. „Diese Entscheidung ist absolut meschugge“, urteilte John Whittingdale, Vorsitzender eines parlamentarisches Kulturausschusses, gefallen ist sie trotzdem. KBM
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