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Archiv-Artikel

Das Weiße im Auge des Kunden

Das Hotel Windschur in St. Peter-Ording ist auf Behinderte eingestellt – vor und hinter dem Tresen. Ein Berufsbildungswerk der Diakonie bildet hier Menschen mit Handicap aus – und bespielt gleichzeitig einen wachsenden Reisemarkt

VON ESTHER GEISSLINGER

Thomas Kröger bestellt Kaffee, quer durch den Raum und wortlos: Ein paar Zeichen in Gebärdensprache reichen, die junge Frau hinter dem Tresen nickt. Draußen vor dem Fenster biegt sich junger Strandhafer im Wind, drinnen, im Restaurant des Hotels Windschur in St. Peter-Ording, herrschen warme Farben. Das Hotel ist neu, aber es gibt schon viele Anfragen, sagt Kröger, der gemeinsam mit Gabriele Schröder das Haus leitet. Schon beim ersten Telefonat werden die meisten Punkte geklärt, sagt Schröder: „Welche Hilfsmittel notwendig sind, was mitgebracht werden muss, was wir bereitstellen können, wie hoch die Klos sind.“ Eine sehr persönliche Ebene, nicht wie sonst üblich im Hotel.

Haus Windschur, dicht am Deich und dem breiten Strand von Ording gelegen, steht allen Gästen offen – doch die Hauptzielgruppe sind Menschen mit Behinderungen: Rollstuhlfahrer, Geh-, Seh- oder Hörbehinderte, Ältere, die schlecht auf den Beinen sind. Alle 21 Zimmer sind breit genug für Rollis, die Badezimmerarmaturen bequem vom Stuhl aus zu erreichen, die Betten lassen sich verschieben, es gibt Lichtklingeln und Bildtelefone. Flure und Zimmer sind so angelegt, dass ein Blinder sich schnell zurechtfindet.

Urlaub für Menschen mit Handicap – bisher gibt es für diese Gruppe kaum Angebote, obwohl sie groß genug ist: Rund zehn Prozent der Bevölkerung gelten in irgendeiner Weise als behindert, und der demografische Wandel sorgt dafür, dass die Zahl derer, die Duschen ohne Rand und rückenfreundliche Matratzen brauchen, weiter steigt. Das weckt allmählich das Interesse der Touristikfachleute: Hallig Hooge ermöglicht Blinden, auf eigene Faust die Landschaft zu entdecken, in Kappeln wird überlegt, ein Paralympisches Zentrum zu bauen. Haus Windschur liegt also im Trend: „Wir begrüßen dieses neue Angebot“, heißt es in der Tourismuszentrale in St. Peter-Ording. Bisher gab es nur einzelne Ferienwohnungen oder Zimmer, die für Behinderte geeignet waren.

Hinter dem neuen Hotel steht kein Privatbetreiber oder Tourismusanbieter, sondern das Theodor-Schäfer-Berufsbildungswerk (TSBW) in Husum, das zur Diakonie gehört. Das TSBW bildet Jugendliche mit Behinderungen aus, teils mit körperlichen Problemen, mehr und mehr mit psychischen: „Borderliner, Verhaltensauffällige, Essgestörte, und bei einigen kommen mehrere Dinge zusammen“, sagt Gabriele Schröder. „Die haben alle ihr Päckchen zu tragen.“

Trotz Päckchen: Das Ziel des TSBW ist, die Jugendlichen auszubilden und auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, erklärt Ausbildungsleiter Dirk Johannsen. Und das heißt: Rein in die Praxis. „Die Leute müssen das Weiße im Augen des Kunden gesehen haben, bevor wir sie auf die Welt loslassen“, sagt Johannsen. Nörgelnde Gäste, Zeitdruck, kippende Teller – das gibt es in keiner beschützten Lehrküche.

Gerade im Bereich Hotel und Gastronomie hat das TSBW entsprechende Ausbildungsplätze geschaffen – und dafür edle Orte gewählt: Neben dem Hotel in Strandnähe betreibt das Berufsbildungswerk ein Café im Husumer Schloss, ein weiteres im Museum Nissenhaus und seit März 2007 auch ein Restaurant beim Noldemuseum in Seebüll, das bereits 90.000 Menschen besucht haben. „Durchaus gehobenes Niveau“ werde dort geboten, da müsse auch der Service stimmen: „Einige der Jugendlichen stoßen an ihre Grenzen, aber das sollen sie auch“, sagt Thomas Kröger. Gabriele Schröder fügt hinzu: „Aber einige wachsen über sich hinaus.“ Guter Service ist auch im Hotel Windschur wichtig, in dem ein Doppelzimmer in der Hauptsaison zwischen 105 und 135 Euro pro Nacht kostet. Beim Rundgang schüttelt Gabriele Schröder kurzerhand ein Kopfkissen aus dem Bezug: „So geht das gar nicht – das muss noch mal gemacht werden.“

Eine diakonische Einrichtung auf Touristenfang: Richtig begeistert ist die Konkurrenz nicht darüber, wissen die TSBW-Verantwortlichen. Andererseits: „Das Schlosscafé in Husum stand leer, es wollte ja sonst keiner.“ Das Berufsbildungswerk hat allerdings gegenüber einem privaten Investor ein paar Vorteile – zum Beispiel, dass viele Arbeiten von hauseigenen Betrieben geleistet werden: Gartenpflege, Tischlerei, Malerei, Raumausstattung werden in eigenen Werkstätten gelehrt, insgesamt bildet das TSBW in 60 Berufen aus. So wurde von den rund 1,5 Millionen Euro Investitionskosten in das Hotel „Windschur“ ein beträchtlicher Teil durch Eigenleistungen aufgebracht. Auch in Zukunft „können wir immer auf unsere eigenen Gärtner oder Tischler zurückgreifen“, sagt Schröder. Öffentliche Fördermittel sind nicht eingeflossen.

Die Kunden sind meist begeistert vom Konzept. Gerade im Husumer Schlosscafé, wo vor allem Gehörlose servieren und Caffè Latte oder Törtchen auf einem Ankreuzzettel bestellt werden, finden sich nur nette Anmerkungen im Gästebuch, schwärmt Schröder. Auch im Haus Windschur kommen immer wieder Neugierige herein, um sich umzuschauen und bleiben dann oft auf einen Kaffee im Restaurant. Wer Gebärdensprache beherrscht, darf mit den Fingern bestellen, das gesprochene Wort gilt aber auch.

www.windschur.de