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Archiv-Artikel

Blick in die ZukunftEin Vorbild für Zypern, nicht für die Kurden

IMMER MEHR STAATEN ERKENNEN DIE UNABHÄNGIGKEIT AN

Nach den USA, Frankreich, der Türkei und Afghanistan hat auch die Organisation der Islamischen Konferenz die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo offiziell begrüßt. Am heutigen Mittwoch wollen Deutschland und andere EU-Staaten der ehemaligen jugoslawischen Provinz die Anerkennung aussprechen. Russland und China lehnten diese dagegen bei einer Sitzung des UNO-Sicherheitsrats entschieden ab. +++ Die serbische Regierung kündigte an, sie werde alles tun, um eine Aufnahme des Kosovo in die Vereinten Nationen zu verhindern, und rief ihre Botschafter aus Paris, Ankara und Washington zurück. +++ Die USA planen eine baldige Geberkonferenz zur Unterstützung des Kosovo. Sie wollen dem Land in diesem Jahr 228,2 Millionen Euro als Finanzhilfe zur Verfügung stellen. +++ Im serbisch geprägten Norden des Kosovo haben mehr als tausend Gegner der Unabhängigkeitserklärung einen Grenzposten angegriffen. Die Polizisten vor Ort suchten in einem nahe gelegenen Tunnel Zuflucht, meldet die Nachrichtenagentur Reuters. Ein weiterer Posten in der Region sei niedergebrannt worden. „Wir haben die Nato gebeten, einen Hubschrauber zu schicken, um unsere Offiziere in Sicherheit zu bringen“, hieß es. Ein KFOR-Sprecher bestätigte, dass die Schutztruppe zur Hilfe eile. AP, RTR

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Als einer der ersten Staaten weltweit hat noch am Montag die Türkei das Kosovo völkerrechtlich anerkannt. Ministerpräsident Tayyip Erdogan rief seinen Kollegen Hashim Thaçi persönlich an und gratulierte ihm zur Unabhängigkeitserklärung. Diese Entscheidung hat sowohl historische wie auch aktuelle Gründe. Historisch zählen die muslimischen Kosovaren genauso wie die Bosniaken zur Hinterlassenschaft des Osmanischen Reiches und sind deshalb auch der heutigen Türkei eng verbunden. Viele ältere Menschen in Priština sprechen Türkisch und während der serbischen Angriffe auf die Kosovaren in den 90er-Jahren flüchteten viele von ihnen nach Istanbul. Die Türkei unterstützt mit der Anerkennung also ihre Klientel auf dem Balkan und sichert sich so auch einen steigenden Einfluss in der Region.

Aus den genau gleichen Gründen ist das orthodoxe Griechenland gegen einen unabhängigen Staat Kosovo. Traditionell ist man den orthodoxen serbischen Glaubensbrüdern verbunden, historisch konkurrieren die Türkei und Griechenland, seitdem die Griechen 1830 ihre Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich erkämpften, auf dem Balkan um Einfluss.

Brisanter ist jedoch die aktuelle Dimension der Auseinandersetzung. Griechenland und mehr noch die griechischen Zyprioten fürchten, dass die Unabhängigkeit des Kosovo zum Vorbild für das türkische Nordzypern werden könnte. Die türkischen Zyprioten haben zwar bereits 1983 einseitig ihre Unabhängigkeit vom griechisch-zypriotischen Staat erklärt, doch anders als nun beim Kosovo hat der UN-Sicherheitsrat damals die Unabhängigkeitserklärung für nichtig erklärt und die türkischen Zyprioten wurden deshalb außer von der Türkei von keinem weiteren Land anerkannt. Das, so hofft man in Ankara und fürchtet man gleichzeitig in Nikosia und Athen, könnte sich nun ändern.

Doch die griechischen Zyprioten haben gerade noch rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt. Zeitgleich mit der Unabhängigkeitserklärung in Kosovo wählten sie am Sonntag ihren bisherigen Präsidenten Tassos Papadopoulos, einen erklärten Gegner von Verhandlungen mit Nordzypern, ab und werden am kommenden Sonntag einen neuen Präsidenten wählen, der die Verhandlungen über eine Wiedervereinigung der Insel wieder in Gang bringen will.

Was man in der Türkei zurzeit vergisst, ist, dass die mögliche Gründung neuer Staaten nicht auf Zypern enden wird. Sollten die türkischen Zyprioten tatsächlich ihren eigenen Staat durchsetzen können, werden sich als Nächs- tes die Kurden im Nordirak darauf berufen und die völkerrechtliche Anerkennung eines kurdischen Staates fordern. Dann wird man die völkerrechtliche Situation in Ankara wieder ganz anders sehen.

Unruhe von Georgien bis Kasachstan

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

„Ich möchte die Kollegen in Moskau daran erinnern, dass sie Leute empfangen haben, die sich mit der Anstiftung zu terroristischen Aktionen befassen“, meinte Georgiens Präsident Michail Saakaschwili. Aus Anlass der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo waren die Präsidenten der abtrünnigen georgischen Teilrepubliken, Abchasien und Südossetien, nach Russland gereist und bekräftigten unter der Schirmherrschaft des Kreml noch einmal ihren Willen zur staatlichen Selbständigkeit. So meinte der abchasische Präsident Sergej Bagapsch, dass seine kleine Schwarzmeer-Republik sich schon demnächst mit der Bitte um Anerkennung an Russland wenden wolle.

Während Abchasien die volle Souveränität anstrebt, geht es Südossetien um die Eingliederung in die russische Republik Nordossetien. Eduard Kokoiti, Chef der Südrepublik: „Den Weg, den das Kosovo heute einschlägt, haben wir vor 17 Jahren begonnen.“

Unmittelbar nach dem Zusammenbruch der UdSSR waren in Georgien ethnische Konflikte ausgebrochen, die in einem Bürgerkrieg endeten. 60 Prozent der abchasischen Bevölkerung waren damals Georgier, die aus der Küstenrepublik fliehen mussten oder vertrieben wurden. Seither wachen russische Friedenstruppen in den Republiken über den Waffenstillstand. Sie sind aber mehr Partei als neutrale Kraft. Russland nützte die Stützpunkte, um die fragile Staatlichkeit Georgiens zu untergraben, und stattete auch die Bürger der Teilrepubliken mit russischen Pässen aus.

Offiziell hält Moskau an der territorialen Unverletzbarkeit Georgiens fest, ist aber nicht an einer Lösung des Problems interessiert. Der Status quo gibt Moskau mehr Möglichkeiten, in die Region hineinzuregieren. Mit einer Anerkennung der Republiken ist daher nicht zu rechnen. Ein souveränes Abchasien entspricht weder Moskauer Vorstellungen noch russischen Wirtschaftsinteressen.

Würde Russland sich Südossetien einverleiben, zöge dies zudem weitere Kettenreaktionen nach sich: Die Ukraine müsste wegen der russischen Mehrheit auf der Krim unruhig werden und würde einen noch schnelleren Nato-Beitritt anstreben. Auch Nachbar Kasachstan hätte Grund zur Beunruhigung, denn dessen nördliche Gebiete werden vornehmlich von Russen besiedelt. Damit diese nicht auf die Idee kommen, den Anschluss an die Heimat zu fordern, müssten die Kasachen Umsiedlungspolitik betreiben.

Nicht zuletzt würde eine Anerkennung der abtrünnigen Republiken Georgiens auch im Nordkaukasus islamistisch motivierten Absetzbewegungen wieder Auftrieb verleihen. Russland fürchtet den Präzedenzfall Kosovo also nicht grundlos. Daher wird es im Fall Georgien diesmal ausnahmsweise kein Öl ins Feuer gießen.

Viele Basken und Katalanen feiern

AUS MADRID REINER WANDLER

Es kommt selten vor, dass sich Spaniens sozialistische Regierung und die konservative Opposition einig sind. Die Frage der Anerkennung des unabhängigen Kosovo ist so ein Fall. Der „einseitige“ Beschluss des kosovarischen Parlaments vom Sonntag sei „illegal“, erklärte Spaniens Außenminister Miguel Angel Moratinos. Die Anerkennungen der abgespaltenen serbischen Provinz durch die Großen der EU und die USA entbehre „der internationalen Legitimität, die Spanien immer verteidigt“, bekräftigte er.

Freilich liegt der Haltung Madrids nicht nur die Sorge um die internationalen Spielregeln zugrunde. Linke und Konservative befürchten, dass das Kosovo als Präzedenzfall für die Nationalisten im eigenen Lande dienen könnte. Schließlich feiern diese ganz unverhohlen die Abspaltung der Albaner von Serbien. Die in Barcelona mitregierenden radikalen Nationalisten der ERC ließen am Montag die Sektkorken knallen. Es sei jetzt möglich, dass „ein Land per Mehrheitsbeschluss und unter Aufsicht der EU unabhängig wird“, erklärte ein Sprecher der katalanischen Separatistenpartei. Das „Recht, zu entscheiden“ habe sich durchgesetzt. Diese Formel benutzen die katalanischen und auch die baskischen Nationalisten, wenn es darum geht, ihre eigenen Forderungen zu umschreiben, ohne das alarmierende Wort „Unabhängigkeit“ in den Mund zu nehmen.

Auch die gemäßigten katalanischen Nationalisten der christlich-demokratisch orientierten CiU begrüßten die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo. Sie wollen im spanischen Parlament Druck machen, damit die Regierung den neuen Staat anerkennt. Außerdem haben sie eine Resolution eingebracht, die von der EU verlangen soll, „die entstandene neue politische Landkarte“ als Gesamt-Union zu unterstützen.

Auch im Baskenland zeigten sich die Nationalisten zufrieden. „Es möge als Präzedenzfall dienen“, schreibt die der bewaffneten Separatistenorganisation ETA nahe stehende Tageszeitung Gara. Die von den gemäßigten Nationalisten PNV und EA sowie den Postkommunisten gebildete Regierung begrüßt den „demokratischen Weg zur Unabhängigkeit“. Der im Madrider Senat sitzende PNV-Politiker Iñaki Anasagasti empfiehlt ETA und Umfeld, von „diesem Beispiel“ zu lernen. Die serbische Provinz habe „die Unabhängigkeit ohne einen einzigen Schuss und ohne Straßengewalt“ erreicht, erklärte er und musste sich fragen lassen, ob denn die 14.000 Toten im Kosovo nicht zählen. „Die Unabhängigkeit des Kosovo öffnet die Büchse der Pandora“, analysiert die größte spanische Tageszeitung El País.

Kein Vorbild für die Ungarn der Slowakei

AUS PRAG SASCHA MOSTYN

Ein klares „Nie“ und „Nu“ zur Unabhängigkeit Kosovos kommt aus Bratislava und Bukarest. Es ist nicht die Unabhängigkeit Kosovos, die den Slowaken und Rumänen sauer aufstößt, sondern die Angst vor einem Dominoeffekt.

Denn in beiden Ländern, bis 1918 Teil der ungarischen Krone, lebt eine starke und politisch aktive ungarische Minderheit. Ein Überbleibsel des Vertrags von Trianon aus dem Jahre 1920, das Politikern entlang der Donau immer noch Kopfschmerzen bereitet. Vor allem seit Budapest 2002 ein „Gesetz über die in den Nachbarländern lebenden Bürger ungarischer Nationalität“ verabschiedete. Das Gesetz, das zum Beispiel finanzielle Prämien für Familien vorsieht, die ihre Kinder auf ungarische Schulen schicken, hat die latente Angst vor Großungarn neu entfacht. Genauso wie die Frage eines unabhängigen Kosovo.

Dementsprechend undiplomatisch wandte sich daher der slowakische Außenminister Jan Kubis gegen die Kosovo-Resolution des UNO-Beauftragten Martti Ahtisaari: „Wir sind in keinem Fall für kollektives Recht, sicher nicht für nationale Minderheiten. Und sicherlich nicht dafür, dass dieses Prinzip auf dem Gebiet der Slowakischen Republik geltend gemacht wird“, warnte Kubis schon im Vorfeld der Unabhängigkeitserklärung Kosovos. Diese, so Kubis, könnte nun von Vertretern der ungarischen Minderheit in der Slowakei oder in anderen Ländern ausgenutzt werden.

Man lege ihnen halt viel in den Mund, sagt der stellvertretende Vorsitzende der „Partei der ungarischen Koalition“ (SMK), Joszef Berenyi. Weder Unabhängigkeit noch Wiedervereinigung mit Ungarn stünden auf dem Programm der Partei, die die rund 550.000 slowakischen Ungarn auch im Parlament in Bratislava vertritt. „Wir teilen mit den Slowaken die gleiche Religion, Kultur und Geschichte“, erklärt Berenyi. „Außerdem wollen wir unsere Forderungen auf politischem und friedvollem Weg durchsetzen.“ Auch wenn die SMK die Ahtisaari-Resolution unterstützt: „Die Slowaken haben keinen Grund, sich vor uns zu fürchten“, sagt Berenyi.

Seine 1,4 Millionen Landsleute in Rumänien sehen das schon etwas anders. Sie bezeichnen die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo als Vorbild. „Die Unabhängigkeit des Kosovo ist ein Präzedenzfall, dem alle folgen sollten“, erklärte der Vorsitzende der Union Demokratischer Ungarn in Rumänien, Bela Marko, am Montag in Bukarest.