: berliner szenen Berliner Krankheiten
Sitzfleisch & Gesäßhilfe
In der Französischen Straße, nahe dem schönen Gendarmenmarkt, residiert die Deutsche Gefäßhilfe, deren feines goldenes Schild mit der geschwungenen Schrift sich auf den ersten Blick liest wie: „Deutsche Gesäßhilfe“. So etwas täte in der deutschen Hauptstadt tatsächlich Not, denn nirgendwo sonst werden Probleme so deutlich und fürsorglich ausgesessen wie in Berlin. Bestimmte Übungen können aber die Pomuskulatur stärken und so die Chancen auf ein dauerhaftes Aussitzen ohne schädliche Nebenwirkungen erhöhen.
Aber auch eine Gefäßhilfe ist sinnvoll und kann im Verein mit der Hinternhilfe doppelt zweckreich sein. Zumal die Zahl der Kreislauferkrankungen und Arterienverkalkungen stets zunimmt. Trotz aller megamodernen Stent-Operationen und aller Cholesterinsenker, die geschluckt werden, sinkt die Zahl der Herztoten in Deutschland eben nicht. Vielleicht ist der gute alte Bypass daher doch nicht das Schlechteste, um einer verringerten Pumpleistung des Herzmuskels wieder Nachdruck zu verleihen. Ein Freund, der, kaum 50, schon einen Stent brauchte, prahlt indes heute damit, dass er ein kostbares kleines Metallrohr am Herzen trägt. Keine fette Rolex, keinen Brillanten am Finger, kein Platin am Handgelenk, sondern einen flotten Leichtmetallgitterrohrling in der Arterie, die ohne diese Stütze schon zu fast 90 Prozent verstopft war.
Jetzt fließt der Lebenssaft wieder ungehindert durch seine Adern dank dieser kleinen Exklusivität, und ihm ist nicht länger übel, sondern spazieren gehen kann er auch schon wieder. Bevorzugt in der Französischen Straße, vorbei am Goldschild der Deutschen Gesäß-, – Pardon! – Gefäßhilfe. Als Sitzfleisch- und Blutflussertüchtigung in einem.
GISELA SONNENBURG