„Wir hatten es schwer mit uns“

Vor 25 Jahren wurde erstmals eine grüne Fraktion in den Bundestag gewählt. Ihre einstige Sprecherin, die Bremer Abgeordnete Marieluise Beck hat es dort als einzige bis heute ausgehalten

von Christian Jakob

Frau Beck, die Grünen sind vor 25 Jahren als Protestpartei in den Bundestag gewählt worden – und niemand wollte dort etwas mit ihnen zu tun haben. Hat die Linkspartei Sie beerbt?

Marieluise Beck: Ich sehe keine Parallelen. Die Linkspartei als SED-Nachfolger war schon immer eine hierarchische Partei. Wir waren durch und durch antihierarchisch. Sonst hätten wir es mit uns selbst nicht so schwer gehabt.

Die Linkspartei macht politische Angebote für Modernisierungsverlierer. Sie sind die Partei des akademischen Milieus…

Es ist wahr, dass grüne Milieus gut ausgebildet sind, aber es ist kein Bürgertum, das sich selbst genügt, sondern eines, dass seine sozialen Verpflichtungen ernst nimmt. Und deshalb sind wir nach wie vor eine Partei für Modernisierungsverlierer.

Dennoch führen sie nun Koalitionsverhandlungen mit der bürgerlichen CDU. Wäre das damals denkbar gewesen?

Ich hatte damals nicht einmal mit dem Einzug in den Bundestag gerechnet, geschweige denn mit irgendeiner Regierungsbeteiligung. Die politische Linke war nicht unser organischer Bündnispartner. Der Atomausstieg wurde in den Gewerkschaften nur von einer winzigen Minderheit vertreten, ansonsten aber bekämpft. Unser Wahlspruch war: Nicht rechts, nicht links, sondern vorn. Wir waren konservativ beim Umweltschutz, liberal bei den Bürgerrechten und sozial in der Frage der gesellschaftlichen Teilhabe.

Ein zentrales grünes Gründungsthema war die Friedenspolitik. Vor einem Monat haben Sie an einer Konferenz teilgenommen, die die Friedensbewegung seit jeher als „NATO-Kriegskonferenz“ bezeichnet. Wie geht das zusammen?

Neben Abrüstung war eines der Themen dieser Konferenz die Lage in Afghanistan. Dazu gab es eine durchaus kritische Rede des amerikanischen Verteidigungsministers Robert Gates, der zugegeben hat: „Wir stecken fest.“ Die Vorstellung, die Konferenz sei ein Hort des Militarismus stammt aus der Zeit, als sie „Wehrkundetagung“ hieß. Ihre gewandelte Thematik ist sicherlich auch auf die Präsenz der Grünen zurück zu führen.

Die Grünen sind also nicht dem Militär näher gerückt, sondern der Militärapparat den Grünen?

Wir haben gelernt, dass in extremen Situationen der Einsatz von Militär zum Schutz von Menschen möglich sein muss. Das Militär musste lernen, dass ohne zivilen Einsatz kein Friede geschaffen werden kann.

Am Dienstag sollte ein Bremer Atomkraftgegner ins Gefängnis, weil er einen Castor-Transport blockiert hat. Er ist Mitglied der „Bremer Initiative zur Bekämpfung des Atomstaats“. Ist es ein Versagen der Grünen, dass dies nach 25 Jahren grüner Parlaments- und Regierungspolitik noch für nötig gehalten wird?

Wir waren immer für einen sehr entschiedenen, aber gewaltfreien Widerstand. Natürlich wäre es wunderbar, wenn wir weiter wären in der Energiepolitik, und es hat heftige Auseinandersetzung gegeben in der Partei, ob der Einstieg in den Ausstieg nicht radikaler angelegt sein müsste. Aber in einem Rechtsstaat gibt es keine Enteignungs-Möglichkeit. Was Rot-Grün erreicht hat, war das maximale, was zu gewinnen war. Und die ersten Kraftwerke sind schließlich abgeschaltet worden.

Sie sind angetreten als Partei der sozialen Bewegungen. Welche Bewegung repräsentieren die Grünen heute noch?

Wir glaubten, dass die gesellschaftlichen Bewegungen viel stärker bleiben würden. Unser Rotationsprinzip sah vor, dass immer neue Aktive ins Parlament hineinwachsen. Wir mussten uns als Partei darauf einstellen, dass man dem Parlament viel mehr Bedeutung beimisst.

Den Grünen wird genau das von Teilen der sozialen Bewegungen vorgeworfen. Die führen ihren Niedergang auch darauf zurück, dass die Grünen eine Spaltung in radikale und parlaments-orientierte Teile provoziert hätten.

Ich kenne keine Partei mehr, die sich nicht dem Parlamentarismus zuordnen würde. Auch die Linke tut dies.

In ihrer Mitteilung zum Jahrestag ist die Rede von einstigen „revolutionären grünen Themen“. Haben die Grünen noch revolutionäre Projekte?

Den Wunsch nach einem guten Leben in Einklang zu bringen mit der Verletzbarkeit der Erde.

Steht so ein Programm nicht in grundsätzlichem Widerspruch zur Beteiligung an der Führung der zweitgrößten Industrienation der Erde?

Gerade die Industrienationen müssen bereit sein, ihren Energie- und Ressourcenverbrauch zu verringern, um den Menschen den Südens gleiche Lebenschancen zu geben.