„Gute Idee schlecht umgesetzt“

Niedersachsens Gymnasial-Direktoren klagen über zu viel Bürokratie und volle Klassen. Die „Eigenverantwortliche Schule“ habe Mehrarbeit beschert, bemängelt Heidrun Korsch von der Niedersächsischen Direktorenvereinigung

HEIDRUN KORSCH, 44, ist Schulleiterin am Grotefend-Gymnasium in Hannoversch Münden und Vorsitzende der Niedersächsischen Direktorenvereinigung.

taz: Frau Korsch, die Direktoren der niedersächsischen Gymnasien klagen über Stress. Sie sind die Vorsitzende ihres Verbandes – wo drückt denn nun der Schuh?

Heidrun Korsch: Seit vorigem Sommer haben wir die Eigenverantwortliche Schule, die wir prinzipiell begrüßen. Aber es sind uns viele neue Aufgaben, viele „Zeitfresser“ aufgebürdet worden, ohne eine Entlastung zu schaffen.

Zum Beispiel?

Wir Schulleiter dürfen selber Kollegen aussuchen. Das machen wir gerne. Aber wir sind jetzt auch für alle verwaltungstechnischen Aufgaben zuständig, wie Abrechnungen und Vertragsabwicklungen, die früher die Bezirksregierungen gemacht haben. Das sind zum Teil hoch juristische Verträge, die wir gar nicht durchschauen können. Außerdem haben wir kein Personal und keine Zeit. Das, was wir bekommen haben, ist minimal. Für 20 Lehrervollzeitstellen hat ein Schulleiter für alle neuen Aufgaben zusammen eine Stunde pro Woche hinzu bekommen.

Was ist das Schlimmste?

Wenn ich eine Feuerwehrvertretung für erkrankte Kollegen suche: Fällt ein Kollege aus, bekomme ich eine Liste mit 100 Adressen. Dann fange ich an zu telefonieren. Bei 30 höre ich, die haben schon was, bei 15 bespaße ich den Anrufbeantworter und lauere dann das ganze Wochenende, ob vielleicht jemand zurückruft. Und am Ende stellt sich raus, dass überhaupt nur eine „Feuerwehr“ in der Nähe wohnt. Also: Gute Idee schlecht umgesetzt.

War das früher besser?

Ja. Früher gab es über Niedersachsen verteilt vier Sachbearbeiter, die genau Bescheid wussten, wen man anrufen kann.

Und die gibt es nicht mehr?

Doch. Aber die haben auch viele neue Aufgaben übernehmen müssen und dadurch andere Dinge zu tun. Niedersachsen ist stolz, dass es die Bezirksregierungen abgeschafft und die Verwaltung verschlankt hat. Das gilt sowohl für das Land als auch für die Kommunen. Aber die Arbeiten sind trotzdem vorhanden und die belasten jetzt die Sekretariate und die Schulleitung.

Leiden nur die Gymnasien?

Alle Schulformen klagen über ein Zuviel an Verwaltungsaufgaben. Aber an den Gymnasien ist auch innerschulisch kein Stein auf dem anderen geblieben. Es gab in fünf Jahren mehr Reformen als in den 30 davor: Erst wurde erfreulicherweise die Orientierungsstufe aufgelöst und wir bekamen die Klassen 5 und 6 zurück. 2003 kam das Zentralabitur und die Verkürzung der Schulzeit von 13 auf zwölf Jahre. Die Schulinspektion hielt Einzug, landesweite Vergleichsarbeiten folgten und schließlich gab es noch ein neues Kerncurriculum, für das wir Stoffpläne erarbeiten mussten. Das war eine immense Arbeit, die jedes der 270 Gymnasien für sich bewältigen musste.

Sind Sie grundsätzlich gegen Veränderungen?

Jede Reform für sich ist gut und sinnvoll, aber alle Reformen im Turbotempo, das war einfach zu viel. Wir brauchen dringend Ruhe an der Reformfront, Muße für die tägliche Arbeit.

Das Turbo-Abitur nach acht Jahren (G 8) sei vernünftig und internationaler Standard, sagte die neue niedersächsische Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) zu Beginn der Kultusministerkonferenz in Berlin. Dennoch will sie Klagen mit einem Schulstress-Gipfel eindämmen, zu dem Landeselternrat, Lehrerverbände und Schülervertreter geladen werden. Heister-Neumann sprach sich gegen die Streichung von Unterrichtsfächern aus, kündigte aber an, die Lehrinhalte künftig zu straffen und Hausaufgaben bei Nachmittagsunterricht zu vermeiden. TAZ

Was erwarten Sie von der neuen Kultusministerin?

Ich wünsche mir, dass sie auf die Schulpraktiker – wie uns Direktoren – hört und die Nöte der Schulen erkennt. Wir sind keine Verhinderer, sondern sorgen uns um das Wohl aller in den Schulen Tätigen. Außerdem müssen bestimmte Verwaltungsaufgaben wieder zentralisiert werden. Das Land muss mit den Kommunen klären, wie die Sekretariate und die Schulleitungen entlastet werden können. Vor allem aber brauchen wir wieder kleinere Klassen. In den Jahrgängen 5 bis 10 sind das zurzeit 33 Schüler und mehr. Das ist heftig.

Wie kommt das?

Als man die Orientierungsstufe abschaffte, hat man die Klassenfrequenzen erhöht und die Klassen vollgestopft. Das muss sich dringend ändern.

INTERVIEW: KAIJA KUTTER