: Forschen auf lichten Etagen
Ein junger Thinktank: Das Institute for Cultural Inquiry (ICI) wurde 2006 von dem Physiker und Literaturwissenschaftler Christoph Holzhey gegründet. Seit Oktober sind die ersten Fellows am Werk. Sie untersuchen das Phänomen der Spannung
VON TIM CASPAR BOEHME
Wenn Christoph Holzhey aus den Fenstern seines Büros sieht, fällt sein Blick normalerweise auf die denkmalgeschützten Fassaden der ehemaligen Brauereigebäude des Pfefferbergs. Gegenwärtig sieht der Geschäftsführer des Institute for Cultural Inquiry, kurz ICI Berlin, jedoch vor allem Baugerüste. Im Nebenhaus lässt sich der dänische Künstler Olaflur Eliasson seine Produktionsstätte herrichten. Eine Nachbarschaft, die ganz im Sinne der unabhängigen Forschungseinrichtung ist, denn die Nähe zur bildenden Kunst ist durchaus beabsichtigt.
Wendet man den Blick und sieht sich in den neu gestalteten Räumen des ICI Berlin um, so fällt die sorgfältig ausgesuchte Innenausstattung ins Auge, die von eleganten wie schlichten Möbeln und einer transparenten, großzügigen Architektur bestimmt ist. Auf drei Etagen im Haus 8 des Pfefferbergs sind die Büro- und Seminarräume sowie die institutseigene Bibliothek untergebracht, im obersten Geschoss öffnet sich der Raum zu einer beeindruckenden Dachterrasse. „Ich hatte Gelegenheit, auf die Konzeption und Gestaltung der Räume Einfluss zu nehmen“, sagt Holzhey.
Die Räumlichkeiten des ICI haben keinesfalls bloß repräsentative Funktion. Hier sollen Kulturwissenschaftler aus aller Welt Bedingungen vorfinden, die einem durchaus anspruchsvollen Ziel dienen. Das Institut will Vertreter verschiedener Disziplinen mit verschiedenem kulturellem Hintergrund zusammenführen, um etwas produktiv zu nutzen, das in Forschungseinrichtungen meist nur unfreiwillig in Erscheinung tritt: Spannungen.
Nicht umsonst trägt das im vergangenen Herbst angelaufene Leitprojekt den Titel „Spannungen“. Die Fellows des Instituts, die als Stipendiaten für ein bis zwei Jahre am ICI forschen können, sollen sich in ihren Projekten dem Begriff der Spannung aus kulturwissenschaftlicher Perspektive widmen. Das Phänomen der Spannung soll dabei auf mehreren Ebenen untersucht werden. So beruht der Kulturbegriff, der am ICI zugrunde gelegt wird, auf der Annahme, dass nicht nur die Begegnungen verschiedener Kulturen von Spannungen gekennzeichnet sind, sondern dass einzelne Kulturen selbst auf internen Spannungen gegründet sind, die wiederum als treibende Kraft wirken.
Eine ähnlich treibende Kraft erhoffen sich Holzhey und sein Assistent Luca di Blasi von den Begegnungen der Wissenschaftler am Institut selbst. Mit dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Forschungsansätze gehen zwangsläufig Spannungen einher, die auszuhalten eine der Anforderungen an die Stipendiaten ist. Das Leitprojekt steht daher auch programmatisch für die Praxis des Instituts. Hier soll nicht nur Interdisziplinarität institutionell ermöglicht, sondern erprobt und reflektiert werden, unter welchen Bedingungen diese überhaupt zustande kommen kann.
„Disziplinen in einen produktiven Austausch zu bringen, ist in einem universitären Rahmen gar nicht so leicht“, so der promovierte Philosoph di Blasi. Interdisziplinarität, im Hochschulalltag viel beschworene Innovationsformel, sei oft bloß „förderstrategischen Vorgaben“ geschuldet und entstehe kaum aus der eigenen Arbeit heraus. „Die Idee war daher, dass man nicht nur Leute aus verschiedenen Disziplinen zusammenbringt, sondern dass man attraktive Bedingungen schafft, damit sie sich hier wohl fühlen und sich in einen Austausch begeben, der diese Interdisziplinarität mit Leben erfüllt.“
Das ICI wurde auf Initiative Holzheys im Herbst 2006 gegründet. „Es war ein Traum, ein Institut dieser Art zu gründen und einen Ort zu schaffen, wo verschiedene Disziplinen zusammenkommen.“ Ein Stifter, der anonym bleiben möchte, sicherte die Finanzierung zu und ermöglichte es Holzhey, seine Vorstellungen zu verwirklichen. Den Wunsch, eine Begegnungsstätte dieser Art zu schaffen, erklärt Holzhey nicht zuletzt auch mit Blick auf seine eigene Biografie.
Der Sohn einer Französin und eines Deutschen studierte in England Physik, promovierte in den Vereinigten Staaten und wechselte dann zum Fach Literaturwissenschaft, in dem er ebenfalls promovierte. So habe er die „großen zwei Kulturen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften“ kennengelernt. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dies zu Spannungen führen, aber auch bereichernd und produktiv sein kann. Das ist eine der Grundideen, die sich in das Institut übersetzt haben.“
Das ICI steht mit seiner Arbeit noch ganz am Anfang. Die ersten sieben Fellows aus den Fächern Kulturwissenschaften, Philosophie, Literaturwissenschaften und Kunst arbeiten seit Oktober vergangenen Jahres am ICI, weitere Stipendien sind ausgeschrieben. Obwohl die Einrichtung sehr jung ist, gab es schon bei der ersten Ausschreibung eine bemerkenswert hohe Zahl von Interessenten aus aller Welt. „Wir hatten 220 Bewerbungen aus 40 Nationen“, so di Blasi. Auch das Interesse der Universitäten an dem neuen Institut ist groß. Bei verschiedenen Veranstaltungen kam es zur Zusammenarbeit mit universitären Einrichtungen. So unterstützte das ICI die Mosse-Lecture Alain Badious an der Humboldt Universität im Januar. „Es war eine sehr schöne Erfahrung, mit welcher Offenheit und Neugier die Universitäten uns als neuer Einrichtung begegnet sind“, freut sich di Blasi über den Zuspruch.
Ein vielversprechender Anfang, der neugierig auf die weitere Entwicklung des Instituts macht. Für die Zukunft gibt sich Holzhey denn auch vorsichtig optimistisch: „Man unterschätzt, wenn man Interdisziplinarität einfordert, dass es oft Zeit braucht und guten Willen verlangt, dass man sich intensiver aufeinander einlässt. Wir müssen sehen, wie gut es uns gelingen wird.“
Die nächste öffentliche Veranstaltung, eine Lesung mit Texten des ungarischen Schriftstellers László Krasznahorkai, findet am 12. März im ICI Berlin statt. Weitere Informationen unter www.ici-berlin.org