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: Ein Thriller mit Substanz

Der Film hat, vom Macher aus gesehen, dem Buch gegenüber einen unschlagbaren Vorteil – der Zuschauer kann die Abspieldauer nicht variieren, der Film läuft in einer gewissen Geschwindigkeit, der Zuschauer muss mit. Selbst in DVD-Zeiten hat sich daran nichts geändert. Ein Buch dagegen liest die eine so und der andere so, manche eine braucht wenige Stunden für 500 Seiten, manch einer liest ein Buch in drei Wochen durch. Wenn man aber „Hundert Student“ von Jean-Christophe Rufin zu langsam liest, dann wird man zusehends enttäuscht. Denn bei diesem Thriller darf man nicht mitdenken.

Dabei beginnt er durchaus spannend, mit einem Einbruch in ein Forschungslabor in Polen, eine militante Tierschützerin befreit Affen, zerschlägt die Einrichtung und stiehlt eine Substanz. Um sich zu bekennen, hinterlässt sie Sprüche der Animal Liberation Front, doch die Leser wissen recht bald, dass die Dame dieser Organisation nicht angehört. Ihr Gegenspieler ist Paul Matisse, ein ehemaliger CIA-Mann, der nach seinem Ausstieg aus der Branche zum wohltätigen Arzt mutierte. Nun verlangt sein ehemaliger Chef nach ihm, der hat sich selbstständig gemacht und arbeitet mit einer „privaten Agentur“ der „Firma“ zu. Paul, der nicht nur Spitzenagent und Armenarzt ist, sondern auch noch Halbschwarzer und französischstämmig, aktiviert wiederum seine ehemalige Geliebte, Kerry, auch sie eine Spitzenagentin, schon immer bildschön, nun aber liebende Mutter, die dennoch, der Lust aufs Abenteuer wegen, ins hochgefährliche Spiel einsteigt. Denn, bald wissen wir es, die Gegner sind durchgeknallte Ökos, die sich aus liebevollem kleinteiligen Natur- und Tierschutz wenig machen, sondern mithilfe von Bioterrorismus der Überbevölkerung der Erde ein Ende machen wollen. Daher die Substanz.

Rufin nun kennt sich in der Szene der Helfer aus, war Vizepräsident der Organisation Ärzte ohne Grenzen und ist gerade zum Botschafter Frankreichs im Senegal ernannt worden. Auch als Literat ist er hochdekoriert, 2001 wurde er mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Doch „Hundert Stunden“, im Original ansprechender „Le Parfum d’Adam“, ein Buch, das in Frankreich mehr als eine Viertelmillion Exemplare verkaufen konnte, ist alles andere als ein gelungener Roman.

Stilblüten wie „Achselzuckend schlief er ein“ gibt es zuhauf. Auch der Originalverlag hatte Rufin kein Lektorat angedeihen lassen, so verzehren etwa entschlossene Tierschützer Koteletts und Würste. CIA-geschulte Terroristen wiederum sind nicht in der Lage, ein Foto ihres Widersachers aufzunehmen, als sie ihn kurzfristig festsetzen können. So kann Matisse weiterhin ungeschminkt die Verdächtigen aufsuchen, ein falscher Name reicht.

All diese Fehler entdeckt man, wenn man aufmerksam liest; man staunt über die sehr mühsam herbeikonstruierten Cliffhanger; wundert sich, dass in einem Thriller alles immer so passiert, wie es vorher angekündigt wird; ist irritiert, wie hölzern die Figuren sind. So treten auch der reiche Böse und der mit britischem Akzent sprechende Geheimdienstchef auf, Letzterer heißt selbstverständlich Archie.

Es ist offensichtlich, dass Rufin sein Buch als Vorlage für einen Abenteuerfilm verstanden hat. Dieser Film wird vermutlich ein angenehmer Actionfilm sein, mit Tempo, vielen Ortswechseln, Liebes- und Prügelszenen. Schön. Aber dafür liest sich „Hundert Stunden“ nur wie das vorab veröffentlichte „Buch zum Film“, das mit heißer Nadel aus dem Drehbuch gestrickt wurde. JÖRG SUNDERMEIER

Jean Christophe Rufin: „Hundert Stunden“. Aus dem Französischen von Brigitte Große und Claudia Steinitz. Fischer, Frankfurt am Main 2008, 560 Seiten, 19,90 Euro