Selektion erst nach Klasse sechs

Mit Schwarz-Grün könnte es ein gemeinsames Lernen von der Vorschule bis zur sechsten Klasse geben. Der bisherige schulpolitische Sprecher der CDU Heinemann ist davon nicht angetan

Unter dem rot-grünen Senat wurde der Versuch „Sechsjährige Grundschule“ initiiert, der seit 2000 an den Schulen „Am Pachthof“ und „Bei der Katharinenkirche“ durchgeführt wird. Dabei bilden die Klassen eins bis drei und vier bis sechs eine Einheit. Ab Klasse vier gibt es Fachunterricht auf verschiedenen Anforderungsniveaus, so dass der Übergang in alle Schulformen möglich ist. Hier unterrichten auch Gymnasiallehrer. KAJ

VON KAIJA KUTTER

In kaum einem Politikfeld schienen die Gegensätze von CDU und GAL so groß wie in der Schulpolitik. Die Union wollte das Zwei-Säulen-Modell aus Gymnasium und Stadtteilschule, die GAL die Schule für alle. Umso überraschender, dass hier offenbar schon bei den ersten Sondierungsgesprächen eine Überbrückung der Widersprüche gelang. Bürgermeister Ole von Beust bot ein bis zu siebenjähriges gemeinsames Lernen an – für GAL-Spitzenkandidatin Christa Goetsch eine tragbare Basis.

Die CDU habe zunächst Modellprojekte angeboten, berichtet Goetsch. Darauf habe sie sich nicht eingelassen. „Ich habe gesagt, wir müssen da anders ran und in größeren Linien denken, weil es um die Kinder geht.“ Deutschland sei ein Land, das Kinder sehr spät einschule und eine hohe Selektivität habe. An beiden Punkten sei die CDU zu Zugeständnissen bereit. „Wir werden das Vorschuljahr in die Schulzeit mit einbeziehen und die Kinder über die vierte Klasse hinaus gemeinsam lernen lassen“, sagt Goetsch. Es werde „keine scharfe Selektion nach Klasse vier“ mehr geben. Dies sei eine belastbare Aussage, ohne die sie sich nicht auf die Koalitionsgespräche eingelassen hätte.

Die Idee einer sechsjährigen Grundschule ist nicht neu. Unter Rot-Grün wurden Ende der 90er zwei ambitionierte Modellversuche an den Schulen „Bei der Katharinenkirche“ und „Am Pachthof“ eingeführt, die unter der Schwarz-Schill-Koalition jedoch stiefmütterlich behandelt wurden. Hamburgs ehemalige SPD-Schulsenatorin Rosemarie Raab brachte die sechsjährige Schule im Herbst 2006 als Kompromiss erneut auf den Tisch, als die SPD um das Zwei-Säulen-Modell stritt. „Nach Klasse sechs können die Schüler im Alter von zwölf, 13 Jahren mit entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen“, sagte Raab. Der Einwand, dieser späte Trennungszeitpunkt sei wegen der beginnenden Pubertät ungünstig, sei „wissenschaftlich nicht belegt“.

Doch Verfechter des Zwei-Säulen-Modells wie der Hamburger Pädagogik-Professor Reiner Lehberger verweisen auf die mäßige Bilanz der sechsjährigen Grundschule in Berlin, die keine besseren Leistungen hervorbringe. Die Bildungsexperten der Grünen fordern deshalb zusätzlich zur Ausweitung auf sechs Jahre bessere Rahmenbedingungen wie kleine Klassen und vor allem individualisierter Unterricht. Nur so könnten mehr Kinder zu höheren Bildungsabschlüssen gebracht werden. Und es müssten die Bedenken vor allem der klassischen Gymnasialklientel entkräftet werden, dass in einer sechsjährigen Grundschule leistungsstarke Schüler nicht genug gefördert würden.

So ist der bisherige schulpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Robert Heinemann, der erst durch einen Fernsehbericht von der GAL-Mitgliederversammlung von der Sache erfuhr, wenig begeistert. „In der Enquete-Kommission zur Schulstruktur waren sich alle Parteien einig, dass die sechsjährige Grundschule wenig Sinn macht“, sagt er zur taz. Schon aus räumlichen Gründen sei diese „schwer zu realisieren“. Heinemann, der in seiner Partei das Zwei-Säulen-Modell durchsetzte, will aus familiären Gründen kürzer treten und das Sprecheramt abgeben.

Ganz angetan ist dagegen der Elternkammer-Vorsitzende Hans-Peter Vogeler: „Wir wissen aus Schulstudien, dass es einen großen Kompetenzabbruch von Klasse vier bis sechs gibt.“ Die Kess-Untersuchung habe gezeigt, dass die Viertklässler heute dank moderner Pädagogik im Lesen und Rechnen viel weiter seien als in den 90ern getestete Schüler, diesen Vorsprung aber an den weiterführenden Schulen verlieren. „Das längere gemeinsame Lernen ist sicher eine gute Möglichkeit, dem zu begegnen“, sagt Vogeler.

Spannend ist auch die Reaktion der Volksinitiative „Eine Schule für alle“, der auch Christa Goetsch angehört. „Wir haben das noch nicht diskutiert“, sagt Sprecherin Sabine Boeddinghaus. „Meine persönliche Meinung ist, dass es erstaunlich ist, wie schnell die CDU sich bewegen kann und hier ein richtiger Schritt gegangen wird.“