: Tiefensees Trick ist misslungen
Die vom Bundesverkehrsminister ausgehandelte Tarifeinigung funktionierte nicht. Den springenden Punkt hat er ausgespart: einen „eigenständigen Tarifvertrag“ der Lokführer. Auch bei der Bahn-Privatisierung macht Tiefensee keine gute Figur
VON HANNES KOCH
Als Cello spielender Oberbürgermeister hätte Wolfgang Tiefensee (SPD) Leipzig fast zur Stadt der Olympischen Spiele gemacht. Seine Schlampereien haben die Bewerbung 2004 aber auch scheitern lassen. Aus dem damaligen Durcheinander stammt der Spitzname des heutigen Bundesverkehrsministers – „Flachwasser“ statt Tiefensee.
Wolfgang Tiefensee ist kein politischer Macher oder Stratege, sondern vor allem Verkäufer. Die Niederungen der Politik – Gesetze, Verhandlungen, Kompromisse – sind nicht sein Terrain, eher fühlt er sich zu Hause auf dem Traumschiff der Präsentation. Unvergessen bleibt der Moment am 13. Januar: Tiefensee hält eine Zeichnung in die Kameras, die er genialisch selbst hingeworfen hat. „Jetzt zeige ich Ihnen mal ein Blatt Papier, das das Zeug hat, im Haus der deutschen Geschichte seinen Platz zu finden“, freute sich der Verkehrsminister. Die Skizze zeigt den Zeitplan für den Abschluss des neuen Tarifvertrages zwischen der Deutschen Bahn AG und der Lokführer-Gewerkschaft GDL. Monatelang hatten deren Chefs, Hartmut Mehdorn (Bahn) und Manfred Schell (GDL), gestritten, gestreikt und geschimpft. Jetzt endlich sei die Einigung da, sagt Tiefensee. Er höchstpersönlich habe sie herbeigeführt. Zum Beweis trägt seine Zeichnung die Unterschriften der Kontrahenten.
Tiefensee ist der geborene Entertainer. Man neigt dazu, ihm zu glauben, wenn er einen neuen Trick vorführt. Und doch bleibt es ein Trick. Bei genauerem Hinsehen hielt die Tarifeinigung schon im Januar nicht, was sie versprach. Das ist die Ursache dafür, dass der Streik der Lokführer erneut beginnen könnte.
Auf den ersten Blick machte Tiefensees Kompromiss einen tragfähigen Eindruck. Bahn und GDL einigten sich auf eine Einmalzahlung von 800 Euro, eine Tariferhöhung um 11 Prozent und die Verringerung der Arbeitszeit von 41 auf 40 Stunden.
Der entscheidende Punkt blieb ausgespart: ein „eigenständiger Tarifvertrag“. Diesen hatte GDL-Chef Manfred Schell immer wieder verlangt, weil er nicht länger auf die Zustimmung der großen Konkurrenzgewerkschaft Transnet angewiesen sein wollte. Bahn-Vorstand Mehdorn hatte den GDL-Spezialtarif permanent abgelehnt, weil er sich nicht der Mini-Organisation der Lokführer ausliefern mochte.
Dieses Problem wurde unter Tiefensees Verhandlungsführung nur vertagt. Nun steht es erneut auf der Tagesordnung. Denn die Bahn verlangt, dass die GDL einen sogenannten Grundlagentarifvertrag und eine Kooperationsvereinbarung unterschreibt, die das Verhältnis der unterschiedlichen Einzelverträge zueinander regeln. Damit wären die Lokführer doch wieder von der Zusammenarbeit mit Transnet abhängig.
Mitunter nimmt Tiefensee den Mund sehr voll. Und kann dann nicht liefern. Auch die geplante Privatisierung der Bahn ist eine „never ending story“. Trotz mehrerer Anläufe und großartiger Konzepte des zuständigen Verkehrsministers zeichnet sich keine Lösung ab. Tiefensee will die Bahn privatisieren, so viel ist sicher. Doch bei der konkreten Ausgestaltung schwankt der Minister hin und her. Die Modelle, wie es gehen soll, liefern andere. Mal ist es Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), mal Hartmut Mehdorn. Besonders dem energiegeladenen Bahn-Chef kann Tiefensee wenig Paroli bieten.
Dem Selbstbewusstsein Tiefensees tut das keinen Abbruch. Der Leipziger Journalist und Tiefensee-Biograf Helge-Heinz Heinker hat schöne Beispiele dafür zusammengetragen. „Im vertrauten Kreis soll er schon mehrfach betont haben, dass er sich als geeigneten Bundeskanzler sieht“, schreibt Heinker über den politischen Musikanten.