piwik no script img

Archiv-Artikel

berliner szenen Überm Klagevolk

Beim Landgericht

Das Landgericht in der Littenstraße ist ein echt schicker Laden. Die Architektur, neobarock, gleicht dem Innern einer Muschel. Kalkweiß glänzende Geländer, schnörkelig skelettiert. Geschwungene Treppen, die majestätisch auseinanderstreben, um sich in Spiralbahnen aufwärts zu winden. Milchgläserne Deckenlampen auf den Fluren, die Sitzbänke sind solide. Und die teuren Boys und Girls, die hier flanieren, duften nach Anstand und Erfolgshormon.

Auch die Säle können sich sehen, riechen, fühlen lassen: Kuschelig mit Teppichboden ausgestattet, vom Parfum der Prozessierenden geschwängert, sind sie Höhlen der Behaglichkeit. Wäre da nicht der unvermeidlich mahnende Altar: aus geöltem Tropenholz gedrechselt, auf ihm thront die Richterschaft mit Protokolldamen, meterhoch überm Klagevolk. Steil fällt unter diesen wahren Herrschenden der Republik die rote Holzwand ab, ein Paneel irdischer Macht. Im Tal der Leidenden wächst das Holz zu einem Schreibtisch, zur Schlachtbank der Streithähne. Hier sitzen Kläger und Beklagte, Anwälte nebst Anhang.

Sie müssen hochsehen, wollen sie was sagen. Manch Älteren im Gewerbe fällt das schwer, ab 60 lässt die Biegsamkeit der Wirbel nach. Aber jungdynamische FDP-Burschen, die ihr Anwaltssalär in Investmentfonds stecken, werden von den Alten trotzdem meist überflügelt. Die Jungschen vergessen nämlich oft den Klagschrift-Text – und nerven mit Prinzipienreiterei im Säuselformat. Die Show aber gehört den Passionierten: Die rhetorisch donnernd Blitze werfen. Die rocken, bis nix mehr geht. Die beinhart mit jeder Silbe für ihre Mandantschaft fordern: Recht! Gerechtigkeit! Und dann und wann geht ein Engel mit Schwert durch den Raum. GISI RUBINSOHN