: Erst Razzia, dann Nachdenken
Angeblich wegen eines Eintrags in seinem Online-Gästebuch wird das Oldenburger „Alhambra“ durchsucht. Für das Kulturzentrum „ein reiner Vorwand“ zum Schnüffeln: Es sei klar gewesen, dass die relevanten Daten in Dortmund liegen
Um, wie im Alhambra-Fall, auch im Nachhinein Zugriff auf möglicherweise strafrechtlich relevanten Internet-Verkehr zu haben, müssen seit dem 1. Januar alle Telekommunikationsdaten von den Dienstanbietern gespeichert werden. Hierzu zählen Telefonverbindungen, Internet-Verbindungen sowie Daten zum E-Mail- und SMS-Verkehr. Aufgezeichnet werden nur die Verbindungsdaten, nicht aber Inhalte von Gesprächen und Nachrichten. Bis Ende des Jahres gelten Übergangsfristen für Internet-Provider. 35.000 Menschen haben gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht das Gesetz vorläufig stark eingeschränkt. Die Verwendung der Daten wurde auf Fälle schwerer Kriminalität begrenzt. In der Hauptsache wurde noch nicht über die Verfassungsmäßigkeit entschieden. TAZ
VON CHRISTIAN JAKOB
Dienstagnachmittag im niedersächsischen Oldenburg: Die Polizei durchsucht das linke Zentrum „Alhambra“. Rund 20 Beamte des Staatsschutzes halten sich etwa eine Stunde lang in dem Gebäude auf. Alle sechs Computer des Zentrums werden beschlagnahmt, Polizeibeamte filmen und fotografieren die Räumlichkeiten sowie die anwesenden Personen.
Anlass für die Aktion: ein anonymer Eintrag im Online-Gästebuch des Alhambra. „Die Durchsuchung wurde angeordnet, weil dort zur Gewalt gegen Rechte aufgerufen wurde,“ sagt Frauke Wilken, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Oldenburg. Ermittelt werde wegen der „Anleitung zu Straftaten“ sowie der „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“. Den genauen Inhalt des Gästebuch-Eintrages wollte Wilken nicht nennen.
„Es ist vollkommen klar, dass diese Daten auf unseren Rechnern nicht zu finden sind,“ sagt ein Sprecher des Zentrums. „Unsere Homepage wird von einem externen Provider betrieben.“ Wenn überhaupt, könne nur der darüber Auskunft geben, von wem der fragliche Gästebucheintrag stammt. Für das Alhambra steht indes fest: Die Behörden „haben offensichtlich einen Vorwand gesucht, um bei uns einzudringen“. Die Leute vom Zentrum sprechen von einem Kriminalisierungsversuch, der „ein weiterer Angriff auf linke Arbeit“ sei. Warum er ausgerechnet jetzt stattfinde, können sie sich „überhaupt nicht erklären“.
Die Polizei indes hat nicht einmal versucht, den Internet-Provider des Alhambra für ihre Ermittlungen anzuzapfen: „Es hat bis jetzt keinerlei Anfrage von Behörden wegen der Alhambra-Homepage gegeben,“ sagt Frank Nord, Sprecher des Dortmunder Internet-Projekts Free. Der Provider ist der technische Betreiber der Website des Kulturzentrums. Auf seinen Servern liegen sämtliche Daten der Alhambra-Homepage.
Die in dem Zentrum selber aufgestellten Rechner zu beschlagnahmen, sei sinnlos: „Der Beitrag hätte von jedem beliebigen Internetanschluss aus verfasst werden können“, sagt Nord.
Allerdings wären die Ermittler auch mit einer Anfrage an Free nicht weitergekommen: Zwar registriert der Provider die Adressen aller PCs, die auf die Alhambra-Seite zugreifen. Doch diese Daten werden unverzüglich wieder gelöscht.
Um welchen Eintrag es bei dem Ermittlungsverfahren genau geht, weiß man auch im Alhambra nicht. „Die Polizei hat uns nicht gesagt, um welches Zitat es geht“, sagt eine Sprecherin. In Frage komme allerdings nur ein Eintrag vom Anfang des Jahres. Während des damals laufenden niedersächsischen Landtagswahlkampfes hatte die NPD 20.000 Multimedia-DVDs produziert. Nach Angaben ihres damaligen Spitzenkandidaten Andreas Molau wollte die rechtsextreme Partei damit „vor allem Jungwähler“ ansprechen. Am 19. Januar will die NPD Molau zufolge „völlig ungestört“ einige hundert Kopien des Datenträgers in Oldenburg verteilt haben.
In dieser Zeit, erinnert sich ein Alhambra-Mitarbeiter, habe ein User ins Online-Gästebuch geschrieben: „Wenn die die hier nochmal verteilen, müssen wir was unternehmen.“ Anderen ist noch gegenwärtig, es sei von „vertreiben“ die Rede gewesen. Genau rekonstruieren lässt sich dies nicht: Die Einträge löschen sich nach einiger Zeit automatisch. Am 24. Januar errichtete die Partei dann gleichzeitig vier Infostände in der Oldenburger Innenstadt. Dabei soll es einen laut NPD „erfolglosen Versuch“ gegeben haben, einen der Stände „zu stürmen“.
Staatsanwältin Wilken bestätigt auf Anfrage, dass der fragliche Eintrag „Anfang des Jahres“ verfasst worden sei. Die Durchsuchung rechtfertigt sie so: „Wenn man gedacht hätte, man könne da gar nichts finden, dann hätte man das nicht durchsucht.“ Den Umstand, dass nicht einmal probiert wurde, die angeblich gesuchten Daten bei dem Dortmunder Online-Provider zu beschaffen, wollte sie nicht kommentieren.
Zum letzten Mal wurde das Alhambra 1996 durchsucht. Damals ging es um einen Artikel in der gleichnamigen Publikation des Zentrums. Die Ermittlungen wurden eingestellt.