piwik no script img

Archiv-Artikel

Vorratsspeicher: nein

AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH

Derzeit kommt in Karlsruhe kein Sicherheitsgesetz ungeschoren davon. Gestern hat das Bundesverfassungsgericht erneut zugeschlagen und eine einstweilige Anordnung gegen die seit Jahresbeginn laufende Vorratsdatenspeicherung erlassen. Der Eilbeschluss hat zunächst zwar überwiegend symbolische Bedeutung, ist aber – gerade weil mit ihm nicht gerechnet wurde – ein starkes Signal gegen den Ausbau des Überwachungsstaats.

„Ein solches Stakkato von bedenklichen Sicherheitsgesetzen ist einmalig in der deutschen Geschichte“, sagte der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Peter Schaar, der taz. Der Arbeitskreis Vorrat, eine Klägergruppe gegen die Datensammlung, forderte am Mittwoch den Rücktritt der zuständigen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD).

Seit Jahresbeginn müssen die Telefonfirmen sechs Monate lang speichern, wer mit wem wie lang telefoniert. Bei Handys wird auch der ungefähre Standort während des Telefonats gespeichert. Ab 2009 müssen zusätzlich die Internet-Provider registrieren, wer wem wann eine E-Mail schreibt und wer mit welcher IP-Adresse ins Internet geht. Zugriff hat die Polizei bei Verdacht auf schwere Straftaten oder Telekommunikationsdelikte. Die Inhalte der Gespräche, der E-Mail und der angesehenen Webseiten werden nicht gespeichert.

Gegen diese im Wesentlichen auf einer EU-Vorgabe beruhende Vorratsdatenspeicherung haben einige FDP-Politiker um Burkhard Hirsch sowie acht Bürgerrechtler aus dem AK Vorrat geklagt. Der AK Vorrat hat Ende Februar außerdem die Klagen von 34.000 Bürgern nachgereicht – die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten. Gestern wurde über den Eilantrag der AK-Vorrat-Kläger entschieden. Die FDPler hatten keinen Eilantrag gestellt. Der AK Vorrat wollte erreichen, dass die Vorratsdatenspeicherung bis zur eigentlichen Karlsruher Entscheidung, mit der frühestens nächstes Jahr gerechnet wird, sofort gestoppt wird. Dieses Ziel wurde verfehlt. Karlsruhe lässt die Zwangsspeicherung der Daten bei den Telefonfirmen unvermindert weiterlaufen. Allerdings hat das Gericht die Nutzung dieser Daten durch die Polizei beschränkt. Die Polizei kann auf diese Daten ab heute nur noch zugreifen, wenn sie ein schweres Verbrechen aufklären will.

Für Straftaten, die mittels Telefon und Computer begangen wurden – zum Beispiel illegale Musikdownloads –, kann die Polizei nur ein Einfrieren der Daten verlangen. Die eingefrorenen Daten stehen der Polizei aber frühestens nach Ende des Karlsruher Verfahrens zur Verfügung. IP-Adressen sind davon derzeit noch nicht betroffen, weil die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen erst ab 2009 vorgeschrieben ist. Es spricht aber viel dafür, dass Karlsruhe die Nutzung der Vorratsdaten zur Überführung von Musikpiraten im Haupturteil generell verbieten wird (siehe Text unten).

Die Karlsruher Einschränkung für die Polizei hält sich in Grenzen. Denn sie kann weiterhin auf alle Daten zugreifen, die bei den Providern zu Abrechnungszwecken gespeichert sind. Mit diesen Daten darf sie auch Musikpiraten verfolgen. Vermutlich wird sie dabei aber wenig Erfolg haben, weil wohl fast alle Musikpiraten eine Internet-Flatrate nutzen und hier IP-Adressen nur wenige Tage gespeichert werden dürfen.

Die einstweilige Anordnung des Verfassungsgerichts gilt sechs Monate, kann aber bis zum Urteil in der Hauptsache mehrfach verlängert werden.

Die Rücktrittsforderung des AK Vorrat an der Justizministerin bezieht sich darauf, dass sie die EU-Richtlinie mit ausgehandelt und ihr zugestimmt habe. Außerdem habe sie das deutsche Umsetzungsgesetz vorbereitet, das noch über die EU-Vorgaben hinausgehe, vor allem bei der Verfolgung von Musikpiraten. Der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, wies die Rücktrittsforderung zurück, Karlsruhe habe die Vorratsspeicherung ja weiterhin erlaubt.

Peter Schaar, der Bundesdatenschutzbeauftragte, sagte zur taz: „Die verantwortlichen Politiker haben viele Warnungen in den Wind geschlagen. Datenschützer und Bürgerrechtler wurden als Ahnungslose lächerlich gemacht. Doch die Antwort auf das Stakkato an bedenklichen Sicherheitsgesetzen zeigt, dass wir in einem funktionierenden Rechtsstaat leben.“

Az. 1 BvR 256/08

Mitarbeit: Daniel Schulz