: Das Geschäft mit den vollen Blasen
Die niedersächsische Stadt Soltau hat das zukunftsträchtige Konzept der „Netten Toilette“ aus Süddeutschland übernommen. In der Innenstadt stellen Gastronomen und Ladenbesitzer ihre Toiletten nun ganz offiziell auch für Nichtkunden bereit
Die Schilder im Eingangsbereich von Soltauer Cafés und Kneipen sind keine neue Idee der Stiftung Warentest. Die „Nette Toilette“ empfängt den Nutzer weder mit freundlichen Aufforderungen zum Brillehochklappen, noch mit lustigen Klowitzen oder Comicservice per Durchreiche. Der hübsche Aufkleber weist auf eine viel größere Revolution hin: die Nutzung der Toiletten ist auch Nichtkunden gestattet – ganz offiziell.
Das geheime Geschäft mit den vollen Blasen, das für viele miesgelaunte Gastronomen zur Tagesordnung gehörte, ist Geschichte. Keine Verlegenheitskäufe mehr. Kein geduckter Schleichgang entlang der Ladentheke. Keine abgezählten 50 Cent-Stücke zwecks Wirtbestechung. Mit der „Netten Toilette“ hat Soltau den Wirtschaftssektor „Klogang“ verstaatlicht und zahlt den 18 teilnehmenden Ladenbesitzern und Gastronomen monatlich zwischen 50 und 100 Euro Aufwandsentschädigung.
Zu dem triumphalen Eroberungszug der privaten Klos war Soltau durch ein großes Bauprojekt in der Innenstadt gezwungen. Das Parkhaus wird samt der darin gelegenen Toiletten abgerissen. „Wir wollten keine Containertoiletten als Übergangslösung aufstellen“, sagt Bürgermeister Wilhelm Ruhkopf. Bei Internetrecherchen sei City-Manager Christian Diemer auf die „Nette Toilette“ gestoßen, die ursprünglich im Baden-Württembergischen Aalen erfunden wurde. „Das Konzept ist eigentlich perfekt“, sagt Ruhkopf. „Die Stadt spart Geld, die Gastronomen und Ladenbesitzer verdienen ein wenig dazu. So ist beiden Seiten geholfen.“ Die Kernzeiten seien durch die langen Öffnungszeiten von Eisdielen und Kneipen abgedeckt, versichert Ruhkopf, auch nach 18 Uhr müsse also niemand um Erleichterung bangen.
Dass die Idee eigentlich aus dem süddeutschen Raum geklaut ist, stört die norddeutschen Fans des Auswärtsklogang natürlich nicht. In Aalen gibt es die „Nette Toilette“ bereits seit 2002.
Die etwa 20 teilnehmenden Betriebe verdienen dort entsprechend des süddeutschen Finanzmonopols ein bisschen mehr als im Norden: zwischen 50 und 150 Euro bringt ihnen die „Nette Toilette“ im Monat ein, je nach Kundenfrequenz. Für die Stadt sind das Peanuts, sie spart rund 15 Prozent der Kosten für die Unterhaltung öffentlicher Einrichtungen.
Anders als in Soltau ersetzt die „Nette Toilette“ in Aalen dauerhaft die öffentlichen WC-Anlagen, da diese der Stadt zu teuer wurden. Nur in den Außenbereichen der Stadt gibt es weiterhin öffentliche Toiletten.
Inzwischen wurde das Konzept von vielen Städten übernommen, Kosteneinsparung steht schließlich nicht nur in Baden-Württemberg hoch im Kurs. Die Rechte für das Logo, das auch Auskunft über das Vorhandensein von behindertengerechten Toiletten und Wickeltischen gibt, liegen bei einer Agentur, die Unterlagen zu dem Projekt gibt die Stadt allerdings kostenlos heraus. „Wenn jemand das Ganze „Freundliche Toilette“ nennt, hat die Agentur keinen Zugriff“, sagt Weiß. Wie viele Städte genau eine „Nette Toilette“ anbieten, kann er deshalb nicht sagen, er schätzt ihre Anzahl auf ungefähr 60. In Norddeutschland setzen außer Soltau auch Verden und Emden das Konzept der „Netten Toilette“ um.
Inzwischen denkt Bürgermeister Ruhkopf darüber nach, die „Nette Toilette“ auch nach Abschluss der Baumaßnahmen anzubieten. Denn die „Nette Toilette“ bewahrt die Soltauer nicht nur vor den Containerklos, sondern könnte auch die Toilette der besseren Gesellschaft werden: „Viele Leute machen seit jeher einen großen Bogen um die öffentlichen Einrichtungen“, sagt Ruhkopf.
Dass öffentliche Toiletten auch eine große Fangemeinde in einigen Bevölkerungsschichten haben, ist ihm klar. Er setzt darauf „ein gewisses Klientel“ von der Nutzergruppe der „Netten Toiletten“ auszuschließen. Ein reiner Nebeneffekt, wie er versichert. Um welche Menschen es sich genau handelt, wollte Ruhkopf nicht sagen, vermutlich jedoch um die in der Innenstadt heimischen Punker und Obdachlosen.
Trotzdem erntet das Projekt in der Medienwelt großen Beifall: „Das Echo ist überraschend groß, wir waren sogar im Fernsehen. Dass wir ausgerechnet mit Toiletten groß in die Presse kommen, hätte ich nicht gedacht“, sagt Ruhkopf. ANNA-LENA WOLFF