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Populäres Neorokoko

Wiederentdeckung unter falschen Vorzeichen, doch am richtigen Ort: Das Berliner Stadtmuseum feiert den Maler und Illustrator Hans Meid mit einer großen Werkschau im Ephraim-Palais

VON MARCUS WOELLER

Für ein Museum gilt es als eine der größten Herausforderungen, einen vergessenen Künstler wiederzuentdecken und neu zu bewerten. Der Stiftung Stadtmuseum ist dies schon mehrfach gelungen, mit der Ausstellung „Hans Meid – Welt und Gegenwelt“ gelingt es ihr nicht. Zu bemüht erscheint der Versuch, Meid (1883–1957) als Nummer vier hinter Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt einzuordnen.

Es kann auch nicht die Aufgabe eines Museums sein, hier den Wettrichter zu geben. Es kann auch kein Kriterium sein, dass Meid am Kunstmarkt lange höhere Preise erzielte als etwa Liebermann. Die Wiederentdeckung eines Malers und Grafikers, der in Vergessenheit geriet, und die wissenschaftliche Aufarbeitung seines Werks reichen als Legitimation vollkommen aus.

Karl Scheffler, einflussreicher Kunstkritiker und Publizist aus Hamburg, lag 1913 mit seiner Einschätzung ganz richtig. Hans Meid habe eine große Begabung, doch „der Kampf und Krampf des Revolutionären hat sie verschont“. Eben diese Kämpfe und Krämpfe mit dem Neuen, Unkonventionellen und Visionären heben jedoch einige Künstler heraus und lassen sie im heutigen Licht interessanter erscheinen als andere. Und da leuchten Liebermann, der großbürgerliche Kämpfer für die Kunst, oder Corinth, der keinem Krampf des Menschlichen aus dem Weg ging, ungleich strahlender.

Mit beiden war Hans Meid Mitglied der Berliner Sezession in der Zeit der Richtungskämpfe kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Hier lernte er auch den Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer kennen, mit dem er Jahrzehnte verbunden bleiben sollte. Meid war also gut eingebunden in die Berliner Kunstszene, auch wenn er erst 1908 nach einem Umweg über Meißen aus dem Badischen nach Berlin gekommen war. Über seine Ehefrau Eveline Sprick befreundete er sich mit Max Beckmann, der auch Taufpate von Meids Sohn Max wurde. Dieser steuerte einen großen Teil der Ausstellung als Schenkung an das Stadtmuseum Berlin bei.

1914 wurde Meid einberufen als Armierungssoldat, doch Liebermann sorgte bald dafür, dass er in die kartografische Abteilung nach Berlin zurückversetzt wurde. Während der Krieg bei vielen Künstlern zu einer die Kunst einschneidend verändernden Erfahrung wurde, führte die Frontverschonung bei Meid zu einer Art inneren Emigration, der Hinwendung zu historischen Illustrationen, romantischen Themen und der Konzentration auf grafische Techniken. Während Beckmann etwa seine Erfahrungen als Kriegssanitäter und Lazarettpfleger später in seinen visionären Zyklus „Die Hölle“ lithografierte, porträtierte Meid in der Serie „Die Kart“ seine Kollegen – Topografen und Vermessungsdirektoren – oder illustrierte die Bibel.

Besonders die anspruchsvolle Kaltnadelradierung perfektionierte er im Sinne einer malerischen, impressionistischen Manier. Goyas „Capriccios“ haben ihn ebenfalls beeinflusst. Direkt auf der Platte erarbeitete Meid starke Hell-dunkel-Kontraste, die den Drucken eine große Dramatik verliehen. Dies passte zu seinen bevorzugten Themen, Illustrationen von Theaterstücken, Opern und literarischen Werken. 1911/12 hatte er bereits die umfangreichen Radierzyklen „Othello“ und „Don Juan“ geschaffen. Nach dem Krieg konnte er an die Theaterleidenschaft wieder anknüpfen. Für Max Reinhardts Inszenierung von William Shakespeares „Sommernachtstraum“ am Großen Schauspielhaus entwarf Meid die Bühnenbilder, und in der 1924 von Reinhardt gegründeten Komödie schuf er das Zeichnungsdekor der Logenbrüstungen.

Die Ausstellung und besonders der Katalog preisen Meid als Zeichner von „Gegenwelten“. Dieser Begriff ist jedoch irreführend. Denn Meid opponierte nie im Sinne einer Avantgarde. Noch am ehesten hat er sich dem Expressionismus gegenüber geöffnet, ihn allerdings nur technisch in seinen malerisch-dekorativen Stil integriert. Neue Sachlichkeit und die beginnende Abstraktion spielen bei ihm keine Rolle. Er negierte sie sogar, was sich auch in der Entfremdung zu Max Beckmann äußerte. Stattdessen zog sich Meid frühzeitig in die Fantasiewelten der Literatur und des Theaters zurück.

Sein Beharren auf der eigenen Zeichenkunst nahm schon das zeitgenössische Publikum irritiert zur Kenntnis, schrieb 1921 ein Kritiker. Der Berliner Autor Sven Kuhrau nimmt diese eigenartige Position Meids zum Anlass, ihn in seinem Katalogessay kunsthistorisch neu einzuordnen. Er verortet ihn als Vertreter des im ausgehenden Wilhelminismus populären Neorokoko, der den Impressionismus sozusagen kunstgewerblich begleitete und sich besonders in der Vergnügungsarchitektur der 20er-Jahre niederschlug. Meid prägte mit seiner Grafik diese preußische Variante des Art Déco, bis in die späten 40er-Jahre als Buchillustrator. Und so findet die Wiederentdeckung von Hans Meid zwar unter falschen Vorzeichen, aber am richtigen Ort statt – im Neo-Neorokoko des Ephraim-Palais im Nikolaiviertel.

Bis 15. Juni 2008, Stadtmuseum Berlin, Ephraim-Palais

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