Ein Lob der Hefe

Unser täglich Brot haben wir den Ägyptern zu verdanken. Doch bis es zum Großeinsatz verdaulicher Hefepilzprodukte kam, mussten noch einige Entdeckungen gemacht werden, etwa im Weinanbau

VON CAROLA RÖNNEBURG

Wenn Lebensmittel sich heimlich verändern, heißt das meist nichts Gutes. Graue, pelzige Beläge, das weiß die Menschheit seit tausenden von Jahren, signalisieren Fäule und Ungenießbarkeit; genau wie eine matschige Konsistenz unter einfallender brauner Hülle. Es ist daher umso erstaunlicher, dass die Ägypter einen solchen Wandel vor tausenden von Jahren nicht nur zuließen, sondern auch noch beförderten: Den Ägyptern verdankt die Welt das Brot.

Sowohl die Griechen als auch die Römer verarbeiteten Getreide nach Art ihrer Vorväter, indem sie es mahlten, rösteten und mit Wasser versetzten. Diese Mischung wurde gegessen, aber auch über dem offenen Feuer gebacken – man kannte allein „Brei und Fladen, Fladen und Brei“, wie der Kulturhistoriker Heinrich Eduard Jacob 1944 in seinem Klassiker „Sechstausend Jahre Brot“ schrieb. Dass es in der Alten Welt kein einziges Mal zu einem Gärungsprozess in der Fladenmasse gekommen wäre, ist mehr als unwahrscheinlich. Hefepilzsporen lagen auch hier in der Luft und besiedelten willkommenen Nährboden, sie machten sich über den Zucker her und spalteten ihn in Kohlensäure und Alkohol. Allerdings müssen Griechen und Römer den auf- beziehungsweise angehenden Brotteig konsequent fortgeworfen haben, sonst hätten auch diese Kulturen bald darauf die Backofenmaurerei fortentwickelt. „Vom Brei, nicht vom Brot haben die Römer ersichtlich lange Zeit gelebt“, schrieb dazu Plinius.

Die Gärung an sich war bekannt und beliebt: Auf die Weinherstellung, die vermutlich in Mesopotamien ihren Anfang nahm, verstand man sich überall, wo Trauben wuchsen. Die Eroberungsfeldzüge der Römer sorgten zusätzlich für eine weite Verbreitung des Weinanbaus in Europa, da die Legionäre mit Wein verpflegt wurden und auch gut beraten waren, dieses Getränk gesundheitsgefährdendem, weil bakteriell belastetem Wasser vorzuziehen – eine Maßnahme, die noch lange fortbestand und auch den mitteleuropäischen Bierkonsum erklärt.

Was Traubensaft dazu brachte, Geschmack und Wirkung zu produzieren, wusste niemand. Saccharomyces cerevisiae, der einzigartige Hefepilz, war noch unsichtbar. Die heute Wein-, Bier- oder Bäckerhefe genannte Art ist zu besonderen Leistungen fähig: Sie kann mit oder ohne Sauerstoff leben, es ist ihr gleich. Damit unterscheidet sie sich von der Mehrheit aller Lebewesen. Entweder nämlich sind diese auf Sauerstoff angewiesen – wie die Mehrheit der Tiere und Pflanzen – oder aber hoch allergisch gegen Sauerstoffzufuhr. Vielen Bakterien bekommt Frischluft überhaupt nicht.

Die Weinhefe macht das Beste aus jeder Lebenslage. Von Sauerstoff umgeben, macht sie aus ihren Mahlzeiten Kohlendioxid sowie Wasser und vermehrt sich fleißig ungeschlechtlich; ohne Sauerstoff produziert sie Kohlendioxid und Ethanol, also Alkohol. Im luftleeren Raum bilden die Hefemutterzellen weniger Sprosszellen, aber für ein Fortbestehen reicht es allemal.

Für die Weinherstellung sind diese Bedingungen deshalb interessant, weil man sich die beiden Zustände zunutze macht. Erst lässt Sauerstoff die Hefen wachsen, dann schnürt man ihnen die Luft ab – die kleinen Helfer der Winzer müssen sich folglich darauf verlegen, Ethanol herzustellen. Jedenfalls so lange, bis der Alkoholgehalt im Traubensaft so hoch ist, dass die Zellen nicht mehr wachsen. Die Unterabteilungen von Saccharomyces cerevisiae, sogenannte Rassen, zeigen sich dabei unterschiedlich standfest: Manche Heferassen geben erst bei einer Alkoholkonzentration von 18 Prozent auf, anderen reichen 10 Prozent.

Dass nicht etwa chemische Reaktionen, sondern lebendige Organismen für Gärung verantwortlich sind, entdeckte der Mensch recht spät. Der Holländer Antoni van Leewenhoek, ein begnadeter Linsenschleifer und leidenschaftlicher Mikroskopist des 17. Jahrhunderts, hatte zwar allerlei animacules, wie er sie nannte, unter 270facher Vergrößerung entdeckt, darunter Hefen und Bakterienformen, doch nahm er seine Schleiftechnik mit ins Grab. Etwa 70 Jahre später bewies der französische Chemiker Antoine Laurent de Lavoisier das Prinzip der alkoholischen Gärung, die jedoch weiterhin als chemischer Prozess galt. Ruhm und Ehre für die Hefepilzentdeckung wurden Louis Pasteur zuteil, der 1856 mit dem Ergebnis einer langwierigen Rübensaftuntersuchung aufwartete. Auf Bitten eines Alkoholfabrikanten hatte sich der Chemiker mit der Frage beschäftigt, wann und warum aus Rübensaft keine berauschende, sondern ein essigsaure Suppe entstand. Unter dem Mikroskop entdeckte Pasteur Kugeln und Stäbchen – und fand so heraus, wie sich einerseits die kugeligen Hefen vermehrten und andererseits die stäbchenförmigen Bakterien einen vielversprechendenden Alkoholansatz mittels Säureproduktion ruinierten.

Mit der Entdeckung und Sichtbarmachung der Hefen geht leider auch ihre gezielte Zucht einher. Heute verwenden Alkoholproduzenten, insbesondere Winzer, sogenannte künstliche Hefen – dressierte Mikroorganismen, die ihre Arbeit hervorragend erledigen, aber nach Auffassung mancher Weinbauern zu schnell und zu rabiat vorgehen. Weiterhin träumt die Nahrungs- und Futtermittelindustrie davon, mittels Hefen und anderen Pilzen kostengünstig Proteine herzustellen.

Schon im Ersten Weltkrieg gab es Versuche in Deutschland, Hefen in großem Maßstab auf Melasse herzustellen, später sollten Hefen auf jeglicher Form von Abfällen wachsen, ob diese nun in der Papierindustrie, in der Gemüseverarbeitung oder im Schlachthof anfielen. Allerdings sind Pilze eben nicht leicht verdaulich – der hohe Nukleinsäuregehalt macht Mensch und Tier Schwierigkeiten. Die Säure herauszufiltern verteuert die Produktion – der Großeinsatz von Hefen steht aus diesem Grund noch bevor.

Von all diesen Anwendungsgebieten wussten die Ägypter nichts. Sie wagten es nur, ein Angebot der Natur wahrzunehmen und auszuprobieren, was passiert, wenn man einen grundlos aufgeblähten, zähen Brei von allen Seiten ordentlich erhitzt. Man sollte ihnen und den späten Forschern endlich ein Denkmal setzen – vielleicht in Form einer winzig kleinen Kugel, die von den Betrachtern unter einem dauerhaft installierten Mikroskop bewundert werden kann. Vielleicht täte es aber auch ein hübscher Steinofen.