: „Der Sex wird auch besser“
Susanne Klingner ist volljährig und nennt sich „Mädchen“. Und andererseits „Feministin“. Sie sieht sich als vierte Welle der Frauenbewegung. Warum sie Charlotte Roche ganz okay findet, Alice Schwarzers PorNo-Standpunkt ablehnt und Sarah Kuttners „Playboy“-Fotos für unkritischen Umgang mit Sexismus hält
SUSANNE KLINGNERGeboren: 17. Juni 1978 in Berlin-Mitte. Beruf: Studium der Journalistik und Politologie in Leipzig, Volontariat bei der taz. Seit 2005 freie Journalistin in München, u. a. für das SZ-Magazin, emotion und fluter. Privat: Ein fester Freund, viele Freundinnen. Aktuelles Buch: Mit Meredith Haaf und Barbara Streidl: „Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht“, Hoffmann und Campe, Hamburg 2008, Buchvorstellung am 5. April in den Kammerspielen München. Und sonst? Spielt und bloggt in der maedchenmannschaft.net. Zum taz-Gespräch traf sich Susanne Klingner mit taz-Redakteurin Heide Oestreich im Dutschke-Haus in Berlin.
INTERVIEW HEIDE OESTREICH
taz: Frau Klingner, Sind Sie volljährig?
Susanne Klingner: Ja, schon lange.
Warum bezeichnen Sie drei sich dann als „Mädchen“? Soll man Sie nicht für voll nehmen?
Doch. Aber in unserer Generation bezeichnen sich viele bis dreißig eben noch als Mädchen. Alphafrauen, das klingt nicht so sympathisch.
Intelligente Frauen haben sich mit Ihren Themen wie Schönheitsterror oder Diskriminierung im Beruf längst auseinandergesetzt. Wer braucht Ihr Buch?
Viel junge Frauen denken, sie lebten doch schon selbstbestimmt und brauchten keinen Feminismus mehr. Aber wenn man genauer hinguckt, sind sie nicht so selbstbestimmt.
Wo sehen Sie das?
Sie denken: Hm, ich habe den Job nicht bekommen, weil der Typ halt besser war. Oder später: Ich verdiene eben weniger Geld als mein Freund und bleibe deshalb mit dem Kind zu Hause. Die Summe dieser Erlebnisse bildet ein System. Das muss man erst mal kapieren.
War das bei Ihnen so?
Bei uns selbst, ja. Aber eben auch bei fast allen unseren Freundinnen. Wir wollten erst über die Probleme unserer Generation schreiben. Und dabei haben wir bemerkt: Es hakt an Punkten, die der Feminismus auch schon lange bearbeitet.
Den Feminismus fanden Sie vorher auch altbacken?
Ja. Als etwa in der Schule in Gemeinschaftskunde über Quoten diskutiert wurde, war ich strikt dagegen: Niemals eine Quotenfrau sein, habe ich gedacht. Jetzt denke ich: Her mit der Quote!
Wie kommt’s?
Beim Berufseinstieg merkt man plötzlich: Die Chefs sind immer Männer. Die Frauen werden oft nicht so ernst genommen. Der Chef sagt dir: Du kannst alles werden. Du musst dich nur anstrengen. Aber wenn es um die Stellenbesetzung geht, dann bleibt man komischerweise wieder draußen. Darüber sprechen viele nicht. Wer sich beschwert, gilt als Opfer. Das haben wir verinnerlicht.
Tja, und dann?
Wenn man verstanden hat, dass man nicht zu blöd ist, sondern dass man als Mädchen halt anders sozialisiert wurde, sich zum Beispiel nicht so gut verkauft wie Männer, dann kann man sein Verhalten auch ändern. Wissen Sie, je mehr wir gelesen haben, desto wütender wurden wir. Und desto größer wurde die Lust, sich mal klar zu positionieren.
In den USA hat Jessica Valenti etwas Ähnliches mit dem Buch „Full Frontal Feminism“ verfolgt. War das Ihr Vorbild?
Valenti hat uns den Kick gegeben, es wirklich Feminismus zu nennen. Das Problem ist, dass Feministinnen in den USA sich von Welle zu Welle fortbewegen können, sie sind jetzt schon bei der vierten Welle. In Deutschland ist das anders, der Feminismus ist zwischendurch völlig verschwunden.
Die wievielte Welle sind Sie?
Eigentlich auch die vierte. Aber schon die dritte Welle gab es ja hier kaum. In den USA hat sie mit den Riot Grrrls begonnen, hier ist sie im Girlietum versandet. Da gibt es noch ein paar Ladyfeste. Aber diese Freiräume für Frauen, das ist nicht mehr unser Ding.
Sondern?
Wir wollen lieber in der Gesellschaft laut sein. Wir wollen uns durchboxen. Sich als Frau wahrnehmen, abseits der Männer, das brauchen wir nicht mehr so sehr.
Und freuen sich die Männer darüber?
Die einen schon, die wollen auch gern Familie und Beruf miteinander vereinbaren und interessieren sich für unsere Themen. Die anderen, Männer und Frauen, greifen uns dagegen auch schon mal an. Auf unserem Blog kommen dann solche Kommentare: „Wie die schon aussehen, wie Männer!“, „Ihr seid doch nur frustrierte Emanzen“, usw. Menschen, die mich nur entfernt kennen, sind über meine „Entwicklung“ befremdet. Obwohl ich mich gar nicht verändert habe. Aber beim Etikett Feminismus, da schnallen manche ab.
Die Schriftstellerin Thea Dorn hält den Begriff für unrettbar verloren.
Es kommt doch darauf an, wie man Menschen auf neue Art zeigen kann, dass Feminismus das Leben einfach besser machen kann. Erkenntnisprozesse machen doch immer Spaß. Und etwas benennen können heißt, dass man sich dann auch wehren kann. Und die Beziehungen werden besser, und der Sex auch.
Das hat die alte Frauenbewegung auch gewollt. Nur: Männer haben selten mitgemacht.
Aber heute ist es doch anders. Es unterdrücken ja nicht mehr die Männer die Frauen. Die Rollenzwänge sind eher latent. Da macht man eigentlich alles freiwillig. Aber plötzlich passt wundersamerweise alles besser, wenn alle sich traditionell verhalten. Das ist doch die Gefahr.
Das heißt, der Machtbegriff hat sich verändert. Ist diese Macht heute noch mit „Patriarchat“ gut beschrieben?
Tja. Es geht jedenfalls nicht mehr darum, dass die Männer hier die Frauen beherrschen und die Frauen deshalb gegen die Männer schießen müssen. Man muss sich mehr gegen Strukturen wehren. Wenn etwa die Unternehmenskultur männlich ist und dann alle meinen, die Frauen seien nur zu blöd, um aufzusteigen, dann nützt es nichts, die Männer anzugreifen. Sondern man muss über die Kultur reden. Und wenn Frauen dann eher mal den Mund aufmachen, hat man schon etwas geändert.
Kommt man mit solcher Mikropolitik gegen Strukturen und Diskurse wie etwa die der Schönheitsindustrie an?
Das ist eine schwierige Frage. Weil gerade die Schönheit so ein Grenzgebiet ist. Alle wollen Körperlotion und noch bessere Mascara. Aber die Schönheitsindustrie will eben auch immer neue Märkte. Jetzt kann man schon das Fitzelchen Fett über dem Ellbogen absaugen lassen. Eine Stelle, die ich mir noch nie im Leben überhaupt angesehen habe. Um dagegen anzugehen, brauchen Frauen eine Art Kompetenz: Wo will ich mich wohlfühlen, und wo fange ich an, mich für ein Ideal zu quälen?
Schönheit muss leiden.
Nein, es gibt eine Grenze, die viele junge Frauen gar nicht mehr kennen. Fast keine Frau findet ihren Körper gut. Deshalb braucht es so dringend diese feministische Denke, mit der man sich mal davon frei machen kann. Und sich überlegen, ob das Selbstbewusstsein nicht auch noch von etwas anderem abhängen könnte als dem Superpo.
Schönheits-TV-Shows wie „The Swan“ scheinen das Gegenteil zu beweisen.
Nein. Bei „The Swan“ konnte man besonders gut beobachten, dass das Selbstbewusstsein dieser Frauen zuvor zerstört worden war. Da hat etwa der Vater oder die Schwester dauernd gesagt, du siehst unmöglich aus. Es ist doch klar, dass diese Frauen dann Probleme entwickeln. Ich finde es traurig, dass sie dann nicht lieber eine Psychotherapie machen.
Eine Operation ist halt einfacher als eine Psychotherapie.
Aber das ist ein feindlicher Angriff auf sich selbst.
Aber Frau Klingner, Sie als junge, gut aussehende Frau wollen den nicht so schönen Frauen erzählen, sie dürften keine Schönheits-OP machen?
Nein, das muss jede für sich entscheiden. Aber ich kann ihr sagen: Guck doch mal, wie gut es anderen Menschen geht, die auch nicht wahnsinnig super aussehen. Wie liebenswert und beliebt die sind. Und sie sollten sich fragen, ob es ihnen nach einer OP wirklich bessergehen würde oder ob sie dann nicht schon die nächste „Problemzone“ ausfindig gemacht haben, die unbedingt wegmuss.
In Ihrem Buch geht es viel um Körperpolitik. Sie greifen auch die alte Pillenkritik wieder auf. Geht das heute noch?
Dass es mal eine feministische Pillenkritik gab, wissen junge Frauen nicht. Alle, alle nehmen die Pille. Das ist krass. Viele Nebenwirkungen machen sich ja erst später bemerkbar. Und immerhin wird man jahrelang hormonell fremdgesteuert. Wollen wir das wirklich? Das überlegen junge Frauen gar nicht mehr. Stattdessen riskieren sie, Aids zu bekommen, oder Geschlechtskrankheiten, oder auch dieses Virus, der Gebärmutterhalskrebs auslösen kann. All das könnte man vermeiden, wenn man einfach Kondome benutzen würde.
Sie grenzen sich stark von Alice Schwarzers PorNO-Kampagne ab. Also PorYES?
Wenn Sie so fragen: PorJEIN. Es müsste ein Qualitätssiegel für gute und fair produzierte Pornos geben. Alles muss freiwillig sein.
Wenn alle einverstanden sind, kann man gerne weiter Vergewaltigungen inszenieren?
Nein, keine Vergewaltigungen. Aber Dominanz sollte nicht automatisch mit tabu sein. Pornos sind ein Kunstprodukt. Sie sollten frei sein. Das heißt aber auch, dass man darüber diskutieren und sie kritisieren muss. Aber zuerst sollte es normaler werden, dass Frauen auch Pornos gucken. Dann wird sich das Gewerbe auch weiterentwickeln, weil sicher nicht so viele Frauen auf Unterwerfungspornos stehen.
Charlotte Roche ist bekennender Pornofan. Ist es in Ordnung, wenn sie gerade den Playboy mit einem Interview beehrt? Der hat ja nicht gerade den New Porn erfunden, sondern steht eher für die Vertierung der Frau als Bunny.
Ich hätte vielleicht nicht gerade dem Playboy ein Interview gegeben. Aber Charlotte Roche hat einfach eine andere Haltung. Diese ganze Kritik an der nackten Frau als Objekt findet sie nicht mehr so relevant. Wir sehen es anders. Aber deshalb kann Charlotte Roche trotzdem Feministin sein. Diese Aufspalterei machen wir nicht mit. Was mich eher nervt, ist, wenn Sarah Kuttner sich für den Playboy auszieht und sagt, das sei großer Rock ’n’ Roll.
Ist das nicht Rock ’n’ Roll?
Nö, wo denn? Sich in so etwas Sexistisches einfach unkritisch hineinzubegeben finde ich nicht so toll.
Erst Sexsymbol, dann geläuterte Mutter, das ist in der Popkultur im Moment das Modell. Auch das kritisieren Sie. Sind junge Frauen für den Mutterkult tatsächlich noch anfällig?
Das Problem ist, dass sie gar nicht im Kopf haben, dass es diesen Mythos gibt. Man ist ja heute die aufgebrezelte, coole Mutter mit Bugaboo-Kinderwagen und erklärt es zum Lifestyle, dass man aus dem krassen Arbeitsleben aussteigt. Dass man einfach für sich selbst sorgen können sollte, dieses urfeministische Anliegen, geht verloren.
Nicht nur das Thema „Zeit für Kinder“ ist in der Arbeitswelt unerwünscht. Generell sind die Personalabteilungen eher allergisch gegen Frauen. Wie kann man damit umgehen?
Das wird sich nur langsam verändern. Es gibt drei Ansatzpunkte: Zum einen merkt die Wirtschaft: Sie braucht Frauen. Zum zweiten: die Männer. Wenn Männer in stärkerem Maße Elternzeit nehmen, schrumpft das Vorurteil gegen die Frauen.
Es bleiben doch viele Geschlechterklischees übrig, mit denen man Frauen diskriminieren kann.
Ja, von diesen Klischees lebt zum Beispiel die ganze Comedyszene. Und die Wissenschaft hat jahrelang versucht, Geschlechterunterschiede herauszuarbeiten. Das war nicht hilfreich. Aber jetzt geht es ja langsam eher darum, dass die Unterschiede innerhalb der Geschlechter größer sind als die zwischen den Geschlechtern. Der dritte Ansatzpunkt: Als Frau kann man viel machen, wenn man mutiger ist.
Also Individualpolitik.
Ja, aber man kann als Individuum auch politisch handeln. Gegen Strukturen angehen, sich vernetzen.
Ansprechpartner für die Politik sind normalerweise Verbände. In welchem Verband sind Sie denn Mitglied?
In keinem. Das ist nicht unbedingt nötig. Die größte Angst unserer Generation ist ja, von irgendeiner Organisation wie von einem Mob vereinnahmt zu werden.
Wenn Sie da alle nicht eintreten, wird es diese Organisationen bald nicht mehr geben.
Wenn eine kleine Gruppe feministisch gesinnter Frauen zu einem Thema richtig Stimmung macht, dann wird das auch gehört, da bin ich ganz sicher.
Es sei denn, sie nennen sich Feministinnen. Die werden prinzipiell nicht gehört.
Das wollen wir ja ändern. In den USA sagen auch alle Frauen in mächtigen Positionen, sie seien Feministinnen. Das soll hier auch zu einem normalen Wort werden. Wer für Demokratie und Menschenrechte ist, ist auch für Feminismus.