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Archiv-Artikel

Die Grafik der Kultur

Suggestive Spannung zwischen rätselhafter Schrift und schöner Klarheit des Bildmotivs: Das Berliner Grafikbüro Ott + Stein und seine Plakate

VON RONALD BERG

Wer sich in den letzten 30 Jahren einmal in Berlin, früher Westberlin, aufgehalten hat, wird an dem Duo nicht vorbeigekommen sein. Ob in U-Bahnen, an Litfaßsäulen oder in Kneipen, die Plakate des Grafikbüros Ott + Stein haben dem Berliner Kulturleben sein Image verpasst: Ein liegender Violinschlüssel mit eingearbeitetem Halbmond, so warben Ott + Stein 1990 für „Türkische Kunstmusik“, ihr Plakat zur Ausstellung „Experiment Bauhaus“ zeigt einen bunt zusammengesetzten Turm aus Buchstaben, zum Symposium über urbane Planungsaspekte in Buenos Aires 1984 verteilen sich typografische Kürzel – Bögen, Kreise, Striche – fast über die gesamte Fläche des Plakats, wenn auch hübsch in Reih und Glied wie im Straßenraster der südamerikanischen Metropole.

Für die Staatlichen Museen Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin arbeiteten Ott + Stein erstmals 1983. Hier setzten sie stärker auf fotografische Motive: In der „Schwarzen Serie“ von 1988 steht je ein Kunstobjekt aus den vielen Museen der Stiftung ziemlich klein inmitten eines schwarzen Grundes, herausgestellt wie eine Aura erheischende Preziose. Bis heute haben Ott + Stein etliche Plakate für die Staatlichen Museen entworfen, auch wenn die Typografie nicht immer gut zu lesen war. Aber schließlich erlag auch der Generaldirektor der Staatlichen Museen der „suggestiven Spannung zwischen rätselhafter Schrift und der schönen Klarheit des Bildmotivs“, wie Peter-Klaus Schuster anlässlich der nun in der zur Preußenstiftung gehörigen Kunstbibliothek veranstalteten Ott + Stein-Ausstellung bekennt. Die von Bibliotheksmitarbeiterin Anita Kühnel kuratierte Schau liefert eine umfassende Retrospektive des Plakatwerks des Büros. Ungefähr ein Viertel der 848 Nummern des aktuellen Bestandskatalog zeigt die Ausstellung, zum Teil sogar in der Gegenüberstellung von Entwurf und gedrucktem Plakat.

Seit 1978 existiert das gemeinsame Büro von Nicolaus Ott und Bernhard Stein. Vor allem in den 80er-Jahren hatte das Büro fast so etwas wie ein Monopol auf die grafische Verpackung der Kultur im westlichen Teil der Mauerstadt. Natürlich lag das auch daran, dass es kaum Konkurrenz gab. Selbst Ott + Stein kamen eher zwangsweise zu ihrem Spezialgebiet: Am Beginn ihrer Karriere wollten die beiden noch für die Industrie arbeiten, mussten dann aber feststellen, dass im ummauerten Berlin nur noch die Kulturindustrie florierte. Innerhalb der vergleichsweise überschaubaren Szene kannte man sich. Ott + Stein gehörten bald dazu und arbeiteten nun viel für Freunde und Bekannte. Das kam ihrer dialogischen Arbeitsweise entgegen. Denn Ott + Stein arbeiteten (bis 2004) als Team und kritisierten und inspirierten sich gegenseitig. Richtig gut wurden sie aber erst, wenn auch der Austausch mit dem Auftraggebern klappte. Das geben die beiden freimütig selbst zu.

Zwar haben Ott + Stein auch Bücher, Plattencover oder Logos entworfen, aber Plakate waren immer ein Schwerpunkt ihrer Arbeit. Ott + Stein haben das Plakatdesign wieder in die Fläche geholt, so die explizite These der aktuellen Ausstellung. Vergleicht man ihre stark auf Typografie setzenden Arbeiten mit den für die Siebzigerjahre allgemein üblichen Fotomotiven und Fotocollagen, wird man sogar von einer postmodernen Wende sprechen müssen. Eindeutiger Bezug bei Ott + Stein sind die 1920er-Jahre. Ott + Stein bauen auf handwerklich-konservative Solidität, die sich bis zum Spielerischen aufschwingen kann. Es wird mit Formen auf der Fläche gebastelt – bis 1990 zunächst tatsächlich mit Schere und Klebstoff. Vor allem Stein kam dafür seine Lehre als „Grafischer Zeichner“ zugute. Die fertigen Ott + Stein-Plakate haben eine gewisse architektonisch-geometrische Stabilität, sie wirken konstruiert und gebaut. Dieser postmoderne oder konservative Touch, der sich gleichzeitig auf die „Willkürfreiheit“ der klassisch-funktionalistischen Moderne beruft, macht die Handschrift von Ott + Stein aus.

Allerdings war die schnörkellose Typografie, der großflächige Einsatz von starken Farben oder die Einbeziehung der Wahrnehmungspsychologie für die Gestaltung in den 20er-Jahren etwas Neues. Der Rekurs auf diese Moderne bei Ott + Stein verkörpert heute eine bewahrende Haltung, die auch mal als postmodernes Zitat lockt. Das schließt Virtuosität und Bildwitz nicht aus: Die vier Buchstaben a, b, c und D genügen um daraus ein Gesicht machen, aus dem Wort „foto“ mit einer Unterschrift wird eine ganze Physiognomie.

Ott + Stein sind Meister ihres Fachs. Ihr ungeheurer Erfolg scheint freilich in ihrem konservativen Umgang mit der Tradition zu liegen. Damit verkörpern sie auf dem Gebiet der Plakatkunst das Pendant zum Geist der kritischen Rekonstruktion, der in Berlin zeitlich parallel seit 30 Jahren das Stadtbild mit seiner Architektur beherrschen möchte. Die Plakate von Ott + Stein passen sich auf diesem Untergrund randlos ein. RONALD BERG

Bis 15. Juni, Kunstbibliothek, Berlin, Katalog (G+H Verlag, Berlin ) 45 €