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Archiv-Artikel

„Sie wollen, dass wir aufgeben und gehen“

„Ein Deutscher duscht nicht unter fließendem Wasser. Er seift sich ein und dreht das Wasser an“

AUS KATZHÜTTE CHRISTOPH TWICKEL

Der Heimatverein ist wegen Krankheit geschlossen. Die Fleischerei Möller hat schon vor ein paar Jahren aufgegeben. Das Schreibwarengeschäft, das „Clubhaus Freundschaft“, die ehemalige Feinkeramik-Manufaktur – alle sind mit Holzplanken verrammelt. „Hier ist nüscht mehr“, ruft ein Rentner, der einsam die mit schwarzem Schiefer verkleideten Fassaden an der Hauptstraße abwandert. So ganz stimmt das nicht. Immerhin gibt es noch ein Otto-Bestellcenter, eine Schlecker-Filiale und einen Supermarkt der Tegut-Kette.

3.000 Bürger zählte Katzhütte vor der Wende, 1.800 Einwohner hat das ruhige Dorf im thüringischen Schwarzatal heute. Diese Ruhe ist derzeit getrübt. Und das liegt an den 88 Menschen, die im „Wohnheim für ausländische Flüchtlinge“ an der Oelzer Straße leben.

Eine von ihnen ist die 18-jährige Suria aus Aserbaidschan. „In Katzhütte ist alles schlecht“, sagt sie in gebrochenem Deutsch. In den baufälligen Bungalows verbrachten zu DDR-Zeiten Kinder ihre Sommerferien. Heute leben hier Flüchtlingsfamilie aus dem Irak, Armenien oder Aserbaidschan.

Bei sieben von zehn Bewohnern wurden die Asylanträge bereits abgelehnt. Sie dürfen aber nicht abgeschoben werden, weil in ihren Länder Krieg herrscht. „Abschiebung ausgesetzt“ steht auf ihren Ausweisen. „Ich wollte Ausbildung machen“, sagt Suria Bruder Tejub. „Aber Sozialamt sagt: Geht nicht.“

Wer in Deutschland keinen „verfestigten Aufenthalt“ hat, darf nicht arbeiten und keine Berufsausbildung machen. Eine Duldung wird immer nur für sechs Monate erteilt. Und weiter als in die Kleinstadt Saalfeld, wo sie die 10. Klasse besuchen, dürfen Suria und Tejub nicht fahren. Falls sie außerhalb des Landkreises angetroffen würden, würde ihnen die Behörde die 60 Euro in bar kürzen, die sie im Monat bekommen. „Residenzpflicht“ heißt diese in der EU einmalige Verordnung. Wer sie mehrfach verletzt, kann mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden.

Suria und Tejub teilen sich in einem vier Quadratmeter großen, mit einem Duschvorhang vom Rest des Bungalows abgetrennten Raum ein Etagenbett. Seit drei Jahren und sieben Monaten leben sie mit ihren Eltern in Katzhütte. Viele andere Heimbewohner sind länger da. Im Winter werden die Tage in den baufälligen und feuchten Sommerbungalows unerträglich lang. „Alles Schimmel“ radebrecht das aserbaidschanische Ehepaar im Erdgeschoss und zeigt auf den schwarzen Pilz, der neben den Kinderbetten die Wand hochkriecht. Wenn eine Kontrolle durch die Behörde bevorstehe, lasse die Heimleitung die Schimmelflecken notdürftig überpinseln. Die beiden neun bzw. anderthalb Jahre alten Kinder seien ständig erkältet, weil die Gemeinschaftsduschen 150 Meter von den Bungalows entfernt lägen. Wenn sie sich gegen die Kälte Heizgeräte besorgten, würden sie von der Heimleitung konfisziert.

Die Heimleitung, das ist Frau Petra Maar. Grellrote Kurzhaarfrisur, ehemals Grundschullehrerin und diplomierte Sozialpädagogin. Seit elf Jahren leitet sie das Heim. Stimmen die Vorwürfe, dass sie den Leuten die Heizlüfter wegnimmt? „Ich habe nicht brandschutzgerechte Geräte unter Verschluss genommen“, antwortet sie. „Wir möchten ja den Leuten nichts wegnehmen, aber sie müssen auch verstehen, dass wir rentabel arbeiten. Und unsere Asylbewerber haben eine andere Lebensweise als wir Deutschen. Ein Deutscher duscht nicht unter fließendem Wasser.“ Nicht? „Nein. Er seift sich ein und dreht dann das Wasser wieder an.“ Derselbe zurechtweisende Ton setzt sich an den Wänden der sanitären Anlage fort. „Nur für Pipi! Danke!“ hat Frau Maar über die Pissoirs geschrieben. „Kein Toilettenpapier! Keine Zigaretten! Kein Erbrochenes!“

Mitte Februar reicht es den Bewohnern: „Wir wollen in normalen Häusern leben und nicht in Baracken!“, schreiben sie in einem Protestbrief. Die Lokalpresse wird aufmerksam, der Mitteldeutsche Rundfunk filmt die Schimmelflecken und die fingerdicken Risse in den Wänden. Ende Februar kommt die Landrätin Marion Philipp und verspricht Abhilfe. Den Heimbewohnern genügt das nicht.

Mit Unterstützung der Flüchtlings-Selbsthilfeorganisation The Voice laden sie zur Pressekonferenz. „Wir wollen ein Ende von diesem Leben voller Schikanen und psychischer Folter“, steht auf dem Transparent, mit sie die Journalisten und Beamten empfangen. „Wir wollen dieses miserable Heim schließen.“

Der Sprecher der Heimbewohner, der 40-jährige Palästinenser Mohammed Sbaih, sagt: „Sie halten uns hier in Isolation, damit wir irgendwann aufgeben und sagen: Okay, wir gehen zurück. Das ist auch eine Form von Abschiebung.“ Das Asylbewerberheim bringt Katzhütte ins Gespräch. So mancher im Dorf findet das empörender als die Zustände im Heim: „Mit dem Geld, was uns Steuerzahler dieses Nörglerheim kostet, könnten wir neue Kindergärten bauen oder Rentnern und anderen pflegebedürftigen Deutschen helfen“, schreibt ein Leser der Ostthüringer Zeitung.

Dass sie nicht willkommen sind, spüren die Flüchtlinge nicht erst, seitdem sie aufbegehren. „Wenn wir Leute grüßen, grüßen sie nicht zurück“, sagt Tejub. „Nicht alle, aber viele.“ Der Bürgermeister Wilfried Machold, der auf der Pressekonferenz von einem „harmonischen Miteinander“ von Dorf und Heim geschwärmt hat? Den hat Tejub vorher noch nie in der Unterkunft gesehen.

FLÜCHTLINGE, THÜRINGEN

The Voice heißt die bundesweite Selbsthilfeorganisation von Flüchtlingen. Die Gruppe wurde 1994 in Thüringen gegründet. Sie protestiert gegen die Unterbringungsbedingungen Asylbewerbern und fordert die Abschaffung der Residenzpflicht.

Die Dr. Krantz Sozialbau und Betreuung Verwaltungs GmbH ist der private Träger der Gemeinschaftsunterkunft in Katzhütte. Über die Vertragsbedingungen haben das Land Thüringen und der Träger „Stillschweigen bewahrt“, heißt es vonseiten des Landratsamtes.

Laut der „Thüringer Verordnung über die Kostenerstattung“ darf ein Asylbewerber das Land Thüringen monatlich 413,20 Euro kosten.

Das Zuwanderungsgesetz aus dem Jahr 2005 sieht vor, die Situation von Menschen, die nicht abgeschoben werden dürfen, durch die „Verhinde- rung von Kettenduldungen“ zu verbessern. TWICK

Nein, Katzhütte ist kein Nazinest, sondern ein ganz normales ostdeutsches Dorf. Halbverlassen, ohne Perspektive, überaltert, mit einem Hang zur Missgunst. „Die kriegen ja alles bezahlt. Strom, Gast, Miete.“ sagt die Kassiererin im Supermarkt. Dabei verdient die Filiale der Tegut-Kette gut an der Gemeinschaftsunterkunft. 106 Euro bekommt jeder Heimbewohner im Monat in Gutscheinen zugeteilt. Einlösen dürfen sie sie nur bei Tegut, „einer der teuersten Supermärkte Deutschlands“, wie es in dem Protestbrief der Flüchtlinge heißt. Dennoch hat die Belegschaft kein Verständnis für die Beschwerden. „Die Stimmung ist gemischt“, sagt die Kindergärtnerin vom „Zwergenparadies“, in deren Gruppe zwei irakische Kinder aus dem Heim sind. „Ich akzeptiere das, aber es gibt hier viele Arbeitslose, die ihre Kinder nicht zum Frühstück schicken, weil sie sich die 70 Cent täglich nicht leisten können.“

„Katzhütte ist nicht unser sozialer Brennpunkt. Da gibt’s ganz andere Ecken bei uns“, sagt Dr. Jörg Fischer. Der Fachbereichsleiter Jugend und Soziales im Landratsamt Saalfeld-Rudolstadt ist bemüht, die Sache zu entdramatisieren. „Uns wurde immer wieder gesagt, wie gut die Bewohner dort integriert sind“, sagt er. „Wir stehen zu der Unterkunft.“ Er verstehe die Leute ja, aber die Behörde sei dazu verpflichtet, Asylbewerber in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. Dann spricht der 32-jährige von einem „anderen Lüftungsverhalten, als der Bau erfordert“ und davon, dass die Wortführer des Protests nicht in der Unterkunft wohnten, sondern von außen kämen. Das Problem sei längst in Bearbeitung, er selbst habe im Januar eine Begehung gemacht. Personen mit gesundheitlichen Problemen bekämen natürlich eine Wohnung in der Stadt zugeteilt.

Auf eine solche Wohnung allerdings wartet Surias und Tejubs Mutter Bella seit zwei Jahren. „Depression mit Suizidgedanken, Hypertonie mit Neigung zu krisenhaften Entgleisungen, koronare Herzkrankheit“, steht in den Attesten, mit denen die Familie wieder und wieder bei der Behörde vorgesprochen hat. Zweimal im Monat muss Bella in die psychiatrische Ambulanz nach Saalfeld fahren.

Das Landratsamt hat jetzt eine grundlegende Sanierung versprochen. Die Proteste will man offensichtlich schon vorher abwickeln. Am 18. März kam eine Abordnung der Ausländerbehörde nach Katzhütte und eröffnete Mohammed Sbaih, dem Sprecher der Bewohner, man habe Papiere, die seine Abschiebung jederzeit ermöglichten. Außerdem legte man ihm nahe, eine Verlegung zu beantragen, wenn ihm das Heim nicht gefalle. In der folgenden Nacht riss die Polizei Sbaih aus dem Schlaf. „Sie kamen um zwei Uhr nachts und erklärten mir, dass unangemeldete Kundgebungen hier nicht erlaubt sind. Wenn ich so etwas noch mal machen würde, bekäme ich eine hohe Geldstrafe oder Gefängnis.“

Sbaih hat im Oktober 2002 Asyl in Deutschland beantragt und lebt seit fünf Jahren in Katzhütte. Noch im Januar hatte ihm die Ausländerbehörde bescheinigt, dass eine Abschiebung nach Palästina wegen der politischen Situation nicht möglich sei.