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Archiv-Artikel

Erzwungene Gerechtigkeit

Micha Brumlik hat sich auf die Suche nach einem postzionistischen jüdischen Selbstverständnis gemacht. In seinem neuen Buch fordert er zudem, die nationalstaatliche Idee für Israelis und Palästinenser umzusetzen

Als Micha Brumlik vor kurzem im Jüdischen Museum in Berlin seine „Kritik des Zionismus“ vorstellte, definierte er das Vorhaben so knapp wie treffend als „ein postzionistisches Buch aus Diasporaperspektive“. Mit dem Adjektiv „postzionistisch“ ist die politische Dimension seiner Überlegungen benannt, während die „Diasporaperspektive“ auf eine Suchbewegung nach einem nun eben postzionistischen jüdischen Selbstverständnis verweist. Das zionistische Projekt kann einerseits nur von seiner historischen Genese her begriffen werden. Andererseits ist es aber im Sinne einer Idee, die mobilisieren kann oder gar zu Träumen anregt, selbst bereits Geschichte. Brumlik vertritt sogar die radikale These, dass sich gegenwärtig „nicht weniger als die Selbstzerstörung des zionistischen Vorhabens“ abzeichne, die 1967 begonnen habe.

Brumliks Gedankengang ist in mehrfacher Hinsicht dialektisch: Zwar sei der Zionismus am Ende und die Idee des Nationalstaats eine verblassende Idee. Doch gerade deswegen müsse alles dafür getan werden, dass diese nationalstaatliche Idee für Israelis und Palästinenser zu einem Fakt werden kann, damit an ein halbwegs friedliches Zusammenleben zu denken ist. Brumliks verblüffender realpolitischer Vorschlag lautet am Ende seines Buches daher, über eine Aufnahme Israels in die EU nachzudenken. Die EU könnte nämlich die Bedingungen stellen, auf die sich die politischen Kräfte im Land selbst nicht einlassen möchten: der Rückzug in die Grenzen von 1967 und Jerusalem als Hauptstadt zweier Staaten. Die Assoziation eines palästinensischen Staats mit der EU könnte dann folgen.

Brumliks Buch beginnt mit einer Einschätzung jüdischer Kritik an Israel. Brumlik weist eine Kritik zurück, die – aus der Diaspora und also aus sicherer Entfernung formuliert – weder eine Verantwortung für das übernimmt, was sie kritisiert, noch die Folgen ihrer Vorschläge tragen muss. Zumal sich die Kritiker dabei noch nicht einmal der eigenen Vermischung von jüdischer Identität mit dem modernen Gedanken der Staatsangehörigkeit bewusst sind.

Aus konkreten politischen Gründen hält Brumlik darüber hinaus Einlassungen wie die Berliner Erklärung „Schalom 5767“ für falsch, die 2006 von sich als Juden bekennenden Persönlichkeiten in Deutschland verfasst wurde. In ihr wurde ein Ende des Boykotts der Palästinesischen Autonomiebehörde gefordert, die seinerzeit ausschließlich aus Hamas-Mitgliedern bestand. Die Hamas aber sei eine Partei, die nicht nur Israels Existenzrecht aberkennt, sondern darüber hinaus in ihrem „explizit eliminatorisch-judenfeindlichen Programm“ Verschwörungstheorien wie diejenige sich zu eigen macht, wonach „die Zionisten“ nicht nur Schuld an der Französischen Revolution, sondern auch an den beiden Weltkriegen hätten.

Brumliks eigene Kritik am staatsbildenden Zionismus will keine „weitere anklagende Bewertung der völker- und menschenrechtsverletzenden Besatzungspolitik“ liefern. Nicht etwa, weil diese Bewertung falsch wäre – Brumlik schreckt nicht davor zurück, bestimmte Maßnahmen ebendieser Politik als „objektiv beschämend“ zu benennen. Er glaubt vielmehr, dass rein moralisch argumentierende Kritik nicht an die Wurzeln des Problems reicht: Kritik am Zionismus müsse normativ vorgehen, weil der Zionismus selbst ein normatives Vorhaben sei. Normative Bezugsgröße sei dabei das Judentum, das Brumlik wie Mordechai Kaplan als Zivilisation versteht.

Das zentrale vierte Kapitel legt dementsprechend dar, auf welche Weise jüdische Intellektuelle wie Hermann Cohen, Franz Rosenzweig, Hannah Arendt, Ernst Bloch oder David Novak mit dem Zionismus umgegangen sind. Rosenzweig etwa schrieb, der Zionismus verhalte sich zur Synagoge wie der Sozialismus zur Kirche: Die Sozialdemokratie sei „für die Verwirklichung des Gottesreichs“ wichtiger als die Kirchlichen oder gar Indifferenten. Für Hannah Arendt, die dem Zionismus eher kritisch gegenüberstand, war hingegen gerade seine grundsätzliche politische Stoßrichtung so richtig wie notwendig. Denn der Verlust nationaler Rechte für Gruppen und einzelne habe im 20. Jahrhundert immer mit dem Verlust der Menschenrechte geendet.

Arendt beglaubigt daher die alten Thesen des rechten, so genannten revisionistischen Flügels der Zionisten, die in Brumliks fundiertem und erhellendem Buch daher mehr Raum verdient hätten. Sie zeigen nämlich ex negativo, woran das Gros der europäischen Kritik an Israel meist schon im Ansatz krankt: Sie kommt nämlich unter der Hand als quasi rückwirkende Nichtanerkennung der historischen Legitimität des zionistischen Projekts daher, das im Kern doch die „nationale Selbstbehauptung“ einer immer wieder verfolgten und zerstreuten Minderheit zum Ziel hatte.

Zeev Jabotinsky, der Führer der Revisionisten, formulierte in seiner „Ethik der eisernen Mauer“ präzise, warum der Zionismus gerechtfertigt sei: „Das heimatlose Judentum, das Palästina für sich fordert, gilt also deshalb als unmoralisch, weil das der autochthonen Bevölkerung nicht passt.“ Dabei sei es „ein Akt schlichter Gerechtigkeit, einen Teil des Landes jenen Nationen zu nehmen, die zu den großen Landbesitzern der Welt gehören, um heimatlosen, wandernden Völkern eine Zuflucht zu schaffen. Erzwungene Gerechtigkeit hört nicht auf, Gerechtigkeit zu sein.“ Auch der neueste postzionistische Diskurs wird diese historische Argumentation im Gedächtnis behalten müssen.

ULRICH GUTMAIR

Micha Brumlik: „Kritik des Zionismus“. EVA, Hamburg 2007, 160 Seiten. 16,90 Euro