: Der lange Weg zurück aus Westen
„Coming Home“: Mit einem Stück von Roland Schimmelpfennig im Gepäck tourte die deutsch-amerikanische Theatertruppe German Theatre Abroad durch die USA. Nun ist Berliner Heimspiel – und alles wird getan, um die Zuschauer bei Laune zu halten
VON ANNE PETER
Popcorn. Dieser Abend ist ein bisschen wie Popcorn. Süß, leicht aufgeplustert und nicht so richtig satt machend. Gleich zu Anfang wird es in kleinen Butterbrottütchen ans Publikum verteilt. Das steht auf der Hinterbühne der Berliner Festspiele vor einer Leinwand, auf der ein riesiges Fahrzeug auf Sonnenuntergangsendloshighway zu sehen ist. Schließlich bricht das Gefährt lebensecht durch die weiße Projektionsplane hindurch und kommt kurz vor den Zuschauern zum Stehen – ein Wow-Effekt! Der grün gestrichene Ex-Schulbus ist damit angekommen – „Coming Home“ heißt die Show, die er eröffnet. Es ist jener Bus, der das 15-köpfige Team vom German Theater Abroad (GTA) mit ihrem Road Theatre USA seit Anfang Oktober 2007 sieben Wochen lang durch die Vereinigten Staaten kutschierte. Jetzt ist Heimspiel in Berlin.
Im Gepäck hatte die Crew um die drei deutschen und zwei amerikanischen Schauspieler das eigens für diese Theatertour geschriebene Stück „Start up“ von Roland Schimmelpfennig. 31 Mal haben sie es an 24 unterschiedlichen Orten zwischen New York und Los Angeles aufgeführt, in Großstädten und Käffern, vor Mexikanern und Bibeltreuen, in Albuquerque wie in New Orleans. Mal nur vor neun, mal vor über 200 Zuschauern.
Immer waren sie dabei auf Mission. Die da heißt: Kultur-Im- und-Export. Das „Start up“-Projekt ist dabei auch so eine Art selbstironisch angehauchter Rückblick auf die Transatlantik-Bemühungen des GTA, das seit mittlerweile zwölf Jahren deutsch-amerikanische Theaterprojekte und -festivals diesseits wie jenseits des Großen Teiches organisiert. GTA-Gründer und künstlerischer Leiter Ronald Marx führt bei Schimmelpfennigs Going-West-Farce die Regie. Die selbstreflexive Story: Drei junge Deutsche schlagen sich, ähnlich der realen Truppe, in einem Bus auf den amerikanischen Highways gen Westen hin durch, mit dem Ziel, irgendwo ein deutsches Theater zu gründen. Der Real-Estate-Owner Ike scheint die passende Location für sie zu haben; als pragmatischer Ami hat er allerdings auch ganz andere Vorstellungen davon, welche Art Geschäft in dieser Gegend zu eröffnen wäre: eine Videothek.
Die Begegnung zwischen dem entgegenkommenden, aber schlicht marktwirtschaftlich denkenden Ike, dem es schier unbegreiflich ist, wie man so etwas wie Theater – nein: kein „movie theatre“ – an den Mann zu bringen glaubt, und den idealistischen Kulturpionieren bietet massenhaft Gelegenheit zur Unterbringung von Stereotypen: Take-out-Food, Cowboystiefel, Western und mehr Hollywood in the middle of nowhere, auf der anderen Seite Kuckucksuhren und Marshallplan, Hitler und Kennedy sowie die Berlin-stylige Umhängetasche. Man könnte es ein Zitieren und Umspielen von Klischees nennen. Oder aber deren denkbar seichte Verwurstung zu mittelmäßiger Unterhaltsamkeit.
Mit diesem Schimmelpfennig-Stück wird nicht gerade erhabene deutsche Hochkultur exportiert. Muss ja auch nicht. Die Frage aber, warum ausgerechnet die gängigsten Vorstellungen, die man ohnehin schon voneinander hat, in einem so groß angelegten Theaterprojekt noch einmal ausgetauscht werden müssen, vermag auch die Inszenierung nicht zu beantworten, die auf die Zitiererei noch cinematografisch geschult aufsattelt. Ein „Kennenlernstück“ sei dies, mit „nicht gerade provokativem Charakter“, lassen die Schauspieler selbstkritisch verlauten, wenn sie im Zwischenspiel am Bühnenpool aus der Rolle in ihre Schauspielreisenden-Realität hinüberkippen.
Hier beginnen sich die Ebenen zu vermischen, tauchen Stücksätze plötzlich in Erlebniskontexten wieder auf – leider bleibt es eine vereinzelte Verflechtung, kaum einmal sonst wird die klischisierte Figurenwelt produktiv mit Real-Life-Experience konfrontiert. So bleiben diese dem Stück hinzugefundene Reisealltagsreflexionen und -anekdoten der Höhepunkt des ansonsten eher minder munter vor sich hin plätschernden Abends. Dabei wird alles getan, um die Zuschauer bei Laune zu halten: erst Popcorn, später Poolparty (heißt: Zuschauer rund um besagten Pool gruppiert) und dazu Peanutbutter-Sandwiches.
Inhaltlich kann dieses sympathische Unternehmen mit vielversprechender Geschäftsidee keinen Exportschlager landen. Es sind wohl vor allem die Produktions- und Transportbedingungen, die das Projekt zum Interessantum aufpoppen. Die Ästhetik: im Westen vielleicht noch Neues. Postdramatik-verwöhnten Berlinern vermag sie wahrscheinlich nur niedrigschwellige Innovationsreize zu verschaffen: gepflegt trashiges Setting, Videoprojektionen, auf denen die Schauspieler zum Beispiel ihre Monologe belustigt bis entgeisterten US-Passanten mitteilen, und gelegentlicher Kameraeinsatz, witzig abgefilmtes Live-Spiel vor romantischem Pappfotohintergrund zum Schluss. Dazu eine bis auf sporadische Ausreißer tendenziell einfühlungsfreudige Spielweise. Irgendwie oberflächlich – irgendwie amerikanisch, möchte man sagen und erwischt sich selbst gerade noch am Vorurteilsschlafittchen.
Road Theatre USA: „Coming Home“. Haus der Berliner Festspiele, bis 30. März, 20 Uhr