Berliner Platten
: Was soll ein junger Mann schon anderes tun, als in einer Rock‘n‘Roll-Band zu spielen: Im Prinzip begriffen bei The Innits und The Boggs

Das ist – in Zeiten der Postpostmoderne, lange nach Hegel und dem radikalen Konstruktivismus – mal wieder ein Satz: „Everything Is True“ behaupten The Innits. Man darf das dreist nennen. Und getrost davon ausgehen, dass die philosophische Dimension dieser Formulierung bei ihrer Kür zum Albumtitel nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Allerdings kündet der Satz auch ohne akademische Hintergedanken natürlich von einer naiven, ja geradezu berufsjugendlichen Grundeinstellung, die auch die Musik des Berliner Quartetts prägt. Wie um der Beweisführung zusätzliche Argumente zu liefern, eröffnet der singende Schlagzeuger Mek Obaam das Album mit den Zeilen: „A glass of beer and a lot of shakalang/ Is our plaisir and that’s why we’re in a band.“ Oder, anders gesagt: Was soll ein junger Mann schon anderes tun als in einer Rock-’n’-Roll-Band spielen.

Ähnlich archaisch auch der Sound von „Everything Is True“. Aus dem kann man mit etwas Fantasie tatsächlich sogar die Rolling Stones heraushören. Und alle anderen Generationen von Jungsbands, deren selbstverliebte Schrammelgitarren im Wettstreit lagen mit ihren Verstärkern, deren Verzerrer wiederum so weit aufgerissen waren, wie es ihnen eigentlich nicht bekam. Also ungefähr von den Sonics bis zu Mando Diao.

Garant dieses authentischen Garagenrock-Gefühls ist Produzent Christopher Uhe, der zuletzt der Schauspielerin Julia Hummer zum authentisch retrospektiven Klang verhalf und früher selbst in legendären Provinz-Undergroundbands wie Sharon Stoned spielte. Viele gerissene Gitarrensaiten und geleerte Bierkästen später, und das ist das wahrhaft Erstaunliche, findet sich immer noch Nachwuchs für diese sympathische Art, seine Jugend zu vertrödeln.

Aus einem grundsätzlich ähnlichen Fundus schöpfen The Boggs, aber das Ergebnis ist doch mehrdimensionaler. Viel Indie-Geplinkel, eine Portion Strange Folk und nicht zu unterschätzende Spurenelemente von Psychedelia finden sich auf „Forts“, dem dritten Album der eher lose organisierten Band um den New Yorker Jason Friedman. Der zog extra für anderthalb Jahre nach Berlin, um hier „Forts“ zu schreiben und aufzunehmen. Die Gründe dafür waren die bekannten, nämlich die im internationalen Vergleich weiter konkurrenzlosen Lebenshaltungskosten, aber schlussendlich hat die Stadt dann doch deutlichen Einfluss genommen auf die Platte.

Immer wieder tauchen Figuren auf, die Friedman in Berlin kennengelernt hat, und die bisweilen hektischen, fast durchgehend chaotischen, auch düsteren Songs reflektieren die Stimmung, wie er sie in der Stadt erfahren hat. „Berlin ist seltsam, fast die ganze Zeit sehr dunkel und zwei Monate scheint die Sonne nicht mehr unterzugehen und die Stadt explodiert“, hat er in einem Interview erzählt, „die Stimmung schwebt zwischen Abbruch und Wiederaufbau, die Kneipen schließen nicht und niemand hat einen Job. So eine Art fauler Mad Max abzüglich der dich jagenden Mutanten.“ Selten hat jemand unsere kleine Heimatstadt so auf den Punkt gebracht. THOMAS WINKLER

The Innits: „Everything Is True“ (Sunday Service/Indigo) Konzert Schaubühne, Samstag 22.30 Uhr

The Boggs: „Forts“ (Tangled Up!/Rough Trade)