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Archiv-Artikel

„Wir sind kein Retortenprojekt“

Mit mehr als 30 Millionen Platten in 30 Ländern ist Scooter einer der erfolgreichsten deutschen Exporte überhaupt. Und einer der tourfreudigsten – am Samstag spielt das Technoduo in Hamburg (Alsterdorfer Sporthalle) und am 10. April im Bremer Pier 2

H.P. BAXXTER, 41, ist Wahlhamburger und heißt eigentlich Hans-Peter Geerdes. Seit 1993 ist er mit Scooter auch international erfolgreich. Im Jahr 2004 war die Band Echo-Preisträger.

taz: Wie möchten Sie genannt werden – H.P., Ice, Mr. Baxxter, Herr Geerdes, Scooter, Hans-Peter, Candyman, die Auswahl ist riesig.

H.P. Baxxter: Ach, aus Spaß leg ich mir bei jeder zweiten Single ein neues Pseudonym zu. Seit mich mein Chemielehrer mal so genannt hat, sagen die meisten Aitsch Pie. Und als während des Abis Listen rumgingen, wer was machen will, hab ich Sänger hingeschrieben. Da meinte eine Mitschülerin, ich solle mich Baxxter nennen. Im New Wave war es als Deutscher üblich, sich einen abgefahrenen Künstlernamen zuzulegen.

Dabei waren Sie ursprünglich eher Hardrocker.

Die ganz harten Sachen, ja. Led Zeppelin, Deep Purple, später Motörhead. Aber plötzlich hab ich nur noch Soft Cell oder Cure gehört. Als ich meinen ersten Plattenvertrag gekriegt hab, war der große Wave-Hype allerdings schon vorüber.

Scooter klingt ziemlich nach Landjugend, die sich beim Schützenfest die Kante gibt. Ist das gewollt?

Das ist zu weit gedacht. Vor unserem ersten Hit Hyper Hyper hatten wir ein Stück, für das wir schnell einen Projektnamen brauchten. Die Melodie erinnerte an eine alte Karussellmelodie. Da hat einer in den Raum geworfen: Nennen wir uns doch Scooter und plötzlich ging das ab in den Dancecharts und die ersten Anfragen kamen, ob wir das live performen könnten. Für unseren ersten Gig in Hamburg haben wir dann noch einen Track gemacht, die Urversion von Hyper Hyper. Ich hab beim Soundcheck ein Mikro in die Hand genommen, um den MC zu machen und plötzlich gab es uns. Wir kamen wie die Jungfrau zum Kinde.

Geboren war der Kirmestechno. Der Begriff wird fast synonym mit Scooter verwendet.

Ja, das stimmt wohl. Und natürlich ist der Begriff negativ behaftet. Man kann es den Leuten, die das so nennen, auch nicht verübeln, weil so was eben aufm Rummel oder in Großdiscotheken gut läuft. Am Anfang waren wir vielen ein Dorn im Auge. Die Leute dachten, wir sind ein Retortenprojekt. Nur Ballaballakram, also Kirmestechno. Das ist Quatsch.

Was ist denn gute Musik?

Die Idee muss einen anmachen, auch bei Coverversionen. Es darf nicht zu offensichtlich sein. Manchmal sind gerade im Dancebereich Nummern dabei, da hört man richtig raus: Ah ja, das Thema hat funktioniert, also lutschen wir das noch aus. Ich finde es immer gut, wenn man ein Thema ausgrätscht, mit dem keiner rechnet. So wie Was wollen wir trinken, diese Ökohymne aus den Siebzigern, aus der wir How much ist The Fish gemacht haben.

Was steht in Ihrem Plattenregal?

Wenn es zu einseitig ist, wird es langweilig. Deswegen habe ich alles querbeet. Früher war ich eingefleischter Ritchie Blackmore-Fan, das war mein Vorbild als Gitarrist. So eine alte Scheibe hört man sich immer mal wieder an. Alles stimmungsabhängig, vorm Kamin hör ich auch mal irische Volksweisen oder Akustikgitarre, mit guter Laune im Auto meistens Trance. Für ganz harten Techno muss man schon mit Monsteranlage, Nebel und Licht arbeiten. Einfach so zum Hören, da hab ich meine Trancesachen und natürlich Wave.

Sie haben sicher auch AC/DC im Schrank.

Ja auch, wobei mir das damals einen Tick zu kommerziell war. Bei uns in Leer waren früher alle Heavy-Rocker AC/DC-Kuttenträger. Ich hab immer andere Sachen gehört. Led Zeppelin oder Van Halen, die alten Sachen, bis Jump.

Blümchen?

Nein, nein.

Billy Idol?

Logo.

Marusha?

Ja, die ersten Sachen fand ich gut. Ich kaufe, was mir grad gefällt. In meinem Musikzimmer mit richtigen PA-Systemen, 1.400 Watt, wenn man sich mal abreagieren will oder die Nachbarn ärgern, reiß‘ ich gern mal auf.

Ist man für Techno eigentlich irgendwann zu alt?

Gott, das ist doch relativ. Wie viele sind schon mit 20 steinalt. Wenn die Gene gut sind, sieht man eben länger jünger aus. Also wir sind ja nun wirklich gerade mittendrin, haben immer wieder junge Fans. Wenn die Resonanz fehlt, wenn einem nichts mehr einfällt, wenn man keine Lust mehr hat, dann wird es Zeit, was anderes zu machen. Aber wir haben eine große Fanbase. Es gibt ein paar Leute, die reisen einem hinterher. So einen Hardcorefankreis sieht man immer wieder, erste Reihe, Bühnenmitte.

Und die werden Sie auch weiterhin anschreien oder lernen Sie noch mal singen?

Wir haben ja schon ein paar Tracks mit richtigem Gesang…

Sie können singen?

Sagen wir mal so, ich habe eine ganz ordentliche Stimme, aber Intonation war nie meine Stärke. Ich hab früher auch Gitarre gespielt, Hardrock. Das ist in der letzten Zeit echt selten geworden. Aber gut, das vergisst man ja nicht. Wie Fahrradfahren.

INTERVIEW: JAN FREITAG