: Schwarze Magie im Paradies
Der Alltag der Inselbevölkerung von Siquijor ist von Aberglaube geprägt – obwohl der Anteil der Katholiken weit überwiegt. Wer dorthin reisen will, erntet Kopfschütteln, weil es auf der Insel angeblich auch böse Zauberer gibt
Die Insel liegt im Süden der zentralphilippinischen Inselgruppe der Visayas und ist dort die kleinste Provinz. Zusammen mit den westlichen und östlichen Visayas bildet sie mit den beiden Inselgruppen Luzón und Mindanao den philippinischen Inselstaat. Auf dem sehr bergigen Siquijor leben etwa 82.000 Menschen. Siquijor hat eine kurze Trockenzeit von März bis Mai, die Regenzeit von Juni bis Februar ist zwar lang, aber nicht sehr intensiv. Beste Reisezeit ist von September bis Mitte Mai. Anreise: Von der Hauptstadt Manila kann man nach Dumaguete auf der benachbarten Insel Negros fliegen. Der Flug dauert 70 Minuten, die Schnellfähre von Dumaguete benötigt für die knapp 25 Kilometer nach Siquijor Town eine Stunde. Alternativ gehen Flüge von Deutschland direkt auf die Visayas-Insel Cebu, die Schnellfähre von dort nach Siquijor braucht drei Stunden. Unterkunft: Coco Grove Resort, z. B. Sunset Family Cottage für etwa 45 Euro/Nacht, Telefon +63 3 54 81 50 08, cocogrov @glinesnx.com.ph. Ein gut geführtes Tauchcenter (Sea Explorers) ist dem Resort angeschlossen. Tipp: Wer das Hexentreiben in der Osterwoche erleben will, muss Monate im Voraus buchen.
VON HILJA MÜLLER
In dem mehr als 7.000 Inseln umfassenden philippinischen Archipel ein postkartenschönes Urlaubsrevier zu finden, ist nicht weiter schwer. Bohol, Boracay, Cebu, Negros oder Palawan sind exotische Ziele, die westlichen Urlaubern alle nur erdenklichen Tropenträume erfüllen. Im Schatten dieser Kronjuwelen schlummern indes zahlreiche kleinere Inseln im Dornröschenschlaf. Nicht minder schön, nicht minder spannend, doch bisher schlicht noch nicht entdeckt von der Tourismusindustrie. Oder geradezu gemieden – wie im Fall von Siquijor.
Das im Süden der Visayas-Gruppe gelegene Eiland wird auf den Philippinen mit leichtem Gruseln in der Stimme auch „Witch Island“, Hexeninsel, genannt. Denn in dem dicht bewaldeten, bergigen Hinterland Siquijors leben und wirken einige Dutzend Geistheiler. Die meisten von ihnen sind sogenannte Mananambals, gute Heiler. Sie gelten als Meister im Brauen von geheimnisvollen Kräutersäften, die gegen allerlei Krankheiten helfen (sollen). Von ihren Patienten nehmen sie als Gegenleistung nur eine Spende an. Was die damalige Präsidentengattin Imelda Marcos, die in den Siebzigerjahren auf Siquijor von einer seltsamen Hauterkrankung geheilt wurde, ihrem Mananambal zukommen ließ, ist leider nicht überliefert. Schon für wenige US-Dollars kann man „Gayumpa“ erstehen, ein Gebräu, das angeblich zu Glück und Erfolg verhilft. „Sumpa“ – Schutzamulette – sollen hingegen böse Geister abwehren und sind ein echter Verkaufsschlager.
Denn unter den Heilern auf Siquijor, so schaudern viele Filipinos, gibt es auch schwarze Magier, die sich auf fiese Zaubersprüche verstehen und unliebsamen Zeitgenossen Pech in der Liebe oder gar unheilbare Krankheiten anhexen. Glaubt man den Gerüchten, ist es gang und gäbe, dass Politiker und Geschäftsleute aus der fernen Hauptstadt Manila anreisen, um ihren Gegnern gegen Zahlung von einigen hundert US-Dollar mit üblem Hexenwerk das Handwerk legen zu lassen.
Kein Wunder also, dass das im 16. Jahrhundert von den Spaniern eroberte Inselchen nicht gerade ein Besuchermagnet ist. Im Gegenteil: Wer einen Urlaub auf Siquijor plant, wird mit ungläubigem Kopfschütteln bedacht. „Warum denn ausgerechnet Siquijor? Weißt du nicht, dass es dort böse Zauberer gibt?“, fragt mich eine wohlmeinende Bekannte vor der Abreise.
Aberglaube ist in der philippinischen Gesellschaft tief verwurzelt. Obgleich der Inselstaat das einzige katholische Land Asiens ist und 86 Prozent der Bevölkerung sich zum Teil devot zu dieser christlichen Religion bekennen, haben animistische Rituale und der Glaube an gute wie böse Geister fast überall im Archipel überlebt.
Da auch Japanern, Südkoreanern und Taiwanern, die seit einigen Jahren in immer größerer Zahl Urlaub beim armen Nachbarn im Süden machen, die Geistergeschichten nicht geheuer sind, haben furchtlose Touristen Siquijor nahezu für sich. In einer Handvoll Resorts kümmern sich Siquijodnons mit strahlendem Lächeln und natürlicher Herzlichkeit um die oftmals europäischen Gäste. Meist sind die Urlauber Taucher, die sich an den vorgelagerten Korallenbänken und der tropischen Fischwelt nicht sattsehen können. Zum Entspannen genügt die Hängematte am weißen Strand.
Viele versäumen es, sich den Rest der Insel anzuschauen. Dabei gibt es entlang der gerade mal 75 Kilometer langen asphaltierten Uferstraße eine Menge zu entdecken. Die unterirdische Welt der Cantabon-Höhle etwa ist nichts für ängstliche Naturen, doch Kammern mit abenteuerlich geformten Stalagmiten und Stalaktiten belohnen die anstrengende Kraxelei entlang dem unterirdischen Fluss. Abkühlung von der Expedition in die Unterwelt bieten die jadegrünen Naturpools am Fuße der Cambugahay-Wasserfälle.
Natürlich hat auch die Hexeninsel katholische Wurzeln: Der Konvent im Örtchen Lazi wurde 1884 erbaut und gilt als der älteste im Archipel. Auf jeden Fall dürfte er einer der baufälligsten sein: Wer sich in den ersten Stock wagt, braucht einen Schutzengel, um heil wieder ans Tageslicht zu kommen. Die alten Holzbohlen sind an vielen Stellen morsch und knarzen bedrohlich unter der Last schwergewichtiger Besucher. Für einen Moment vergisst unsere einheimische Begleiterin ihre gute Laune: „Wir haben einfach kein Geld, um den Konvent zu sanieren. Und auf Hilfe aus Manila brauchen wir gar nicht zu hoffen, für die sind wir nur eine Provinz irgendwo im Süden. Wenn mehr Touristen kämen, dann könnten wir sicher etwas abzweigen, um unsere Kulturgüter zu bewahren.“
Die ebenfalls aus Holz und Korallengestein gebaute San-Antonio-de-Padua-Kirche gegenüber ist in keinem besseren Zustand. Das 1857 von den Spaniern erbaute Gotteshaus gleicht eher einem Geisterhaus: Vergilbte Gemälde, durchgebogene Kirchenbänke, modriger Geruch und unterm Dach flatternde Fledermäuse sind wenig Ehrfurcht einflößend. Alte Weiblein sind dennoch inbrünstig in Gebete vertieft. Wenn das nichts hilft, kann man ja immer noch zum Mananambal gehen.
Auf der staubigen Dorfstraße ist man rasch von neugierigen Kindern umringt. Kichernd schauen sie sich die großen Füße und die helle Haut der Besucher an. Belästigungen, aufdringlichen Verkaufsangeboten oder gar der Bettelei ist man auf Siquijor nicht ausgesetzt. Im Gegenteil, die etwa 80.000 Siquijodnons scheinen die philippinischen Tugenden Gastfreundschaft, gute Laune und Herzlichkeit zu potenzieren. Wäre der Begriff „unverdorbenes Paradies“ nicht ein solch abgedroschenes Klischee, er würde Siquijor am trefflichsten beschreiben.
Während der Osterwoche verwandelt sich das ansonsten so geruhsame Inselchen, wo die Uhren noch langsamer zu ticken scheinen als sonst wo im Archipel, in einen – nun ja, in einen großen Hexenkessel. Dann nämlich reisen Heiler aus allen Teilen des Landes an, um ab Karfreitag in geheimen Riten besonders potente Zaubersäfte herzustellen. Eine Medizinfrau aus Mindanao ist sich sicher, dass man „nirgendwo sonst auf den Philippinen so wirksame Pflanzen findet wie auf Siquijor“. Angezogen von dem mystischen Treiben, eilen in dieser Zeit auch Medienteams aus der ganzen Welt herbei, und ihre Schlagzeilen manifestieren einmal mehr Siquijors Ruf als Hexeninsel. Am Ostermontag dann ist der Spuk vorbei, und das Eiland mit der besonderen Aura schlummert ein weiteres Jahr im Dornröschenschlaf.