: Kultur als Feigenblatt
Der Energiekonzern Vattenfall sponsert kommende Woche wieder die „Vattenfall-Lesetage“ mit einem hochkarätigen Kulturprogramm. Mitmachen oder boykottieren? Ein Pro und Contra
Schon durch ihre schiere Größe fallen die vom Energiekonzern Vattenfall gesponserten Lesetage aus dem Rahmen: über 130 Veranstaltungen, 200 Mitwirkende, 95 Hamburger Orte. Bei einer Talkshow auf Hamburg 1 diskutieren der Autor Dirk C. Fleck („Das Tahiti-Projekt“) und andere mit Vattenfall-Vorstand Rainer Schubach über die Frage: „Optimistisch oder pessimistisch – Wie schauen wir in die Zukunft?“ TAZ
Pro
Soll man Vattenfall daran hindern, etwas Gutes zu tun? Dieser Konzern, der im Rahmen seiner Sponsoring-Aktivitäten mit Sport-Großevents die Hamburger Innenstadt einigermaßen sinnfrei belebt, hat mit den „Hamburger Lesetagen“ einen kleinen Edelstein in seiner Förderungspalette. Natürlich kann man unterstellen, dass der AKW-Bösewicht damit auf unangemessene Weise Sympathiepunkte sammelt. Freilich – schon die Vermutung, dass literarisches Engagement eine solche Wirkung erzielen könnte, hat etwas Rührendes und zugleich Kräftigendes für uns Kulturschaffende. Sollen wir deshalb den „Lesetagen“ keine Zusammenarbeit und Bleibe bieten?
Es gibt nicht wenige, die den Versuch der Grünen, in einer Koalition mit der CDU das Vattenfall-Kohlekraftwerk zu verhindern, schon für einen Abfall vom Glauben halten und die Grünen lieber in einer politisch korrekten und weitgehend wirkungslosen Opposition sähen. Diese Einschätzung teile ich nicht. Wenn diejenigen, die mit Vattenfall für diese „Lesetage“ zusammenarbeiten, aus diesem Grund besondere Zurückhaltung in Atom-Fragen üben würden, dann müssten diese sich das vorwerfen. Wenn Vattenfall aufgrund atomkritischer Äußerungen von einer Zusammenarbeit Abstand nähme, müsste man diesen Skandal kenntlich machen. Dass wir Künstler insgesamt oft zu vorsichtig und zögerlich im konkreten politischen Engagement sind, das mag sein. Gutes zu tun durch Unterlassen – also einem ambitionierten Literaturprogramm, welches mit der finanziellen Hilfe von Vattenfall zustande kam, keinen Raum zu geben, das halte ich für die falsche Form politischen Handelns.
ULRICH KHUON, Intendant des Thalia Theaters
Contra
Kultwerk West, das öffentliche Wohnzimmer Altonas, will bei den diesjährigen Vattenfall-Lesetagen nicht mitmachen.
Vattenfall verkauft vielen HamburgerInnen Strom, Vattenfall will in Moorburg ein ökologisch wie technisch umstrittenes Kohlekraftwerk bauen, Vattenfall lädt in Hamburg jedes Frühjahr zu den beliebten Vattenfall-Lesetagen. Soweit sind sich alle einig. Mit den Vattenfall-Lesetagen definiert das Unternehmen seine kulturelle Bedeutung für Hamburg, Hinweise auf die wirtschaftliche liefert uns der Strompreis, und die ökologische Spur Vattenfalls entdecken wir im errechneten erschreckenden CO2- und Feinstaub-Ausstoß des geplanten Kohlekraftwerks Moorburg.
Man kann Vattenfalls Aktivitäten separat sehen, man kann sie – wie Kultwerk West es tut – im Zusammenhang betrachten. Diese Sichtweise drängt sich auf, denn die Vattenfall-Lesetage sind Teil des unternehmerisch-strategischen Handelns (Imagekampagne / PR). Entscheidend für die Absage einer Kultwerk-Veranstaltung war die immense Bedrohung unserer Zukunft durch den Klimawandel und Vattenfalls mangelnde Bereitschaft, seine unternehmerische Verantwortung hier wahrzunehmen. Stromerzeugung durch Kohlekraftwerke ist die klimaschädlichste Form der Energiegewinnung. Das ist unstreitig.
Kultwerks Entscheidung, die Vattenfall-Lesetage 2008 nicht mitzumachen, soll ein Zeichen setzen. Wir wollen damit unserer Erwartung an ökologische Verantwortung als unternehmerische Verpflichtung Nachdruck verleihen. Es geht in Hamburg nicht einfach um ein kostengünstiges Superkraftwerk, sondern um unsere Zukunft. SIGRID BEHRENBERG, Kultwerk West