Ver.di entdeckt Herz für Papierlose

Die Gewerkschaft startet in Hamburg ein bundesweites Pilotprojekt zur arbeitsrechtlichen Beratung von Migranten ohne gesicherten Aufenthalt. In einem Präzedenzfall konnte bereits eine Lohnnachzahlung für eine Haushaltshilfe erstritten werden

Menschen, die auf der Suche nach Arbeit und Einkommen ihr Land verlassen, haben – unabhängig vom Aufenthaltsstatus – Anspruch auf Einhaltung aller arbeits- und sozialrechtlichen Regeln. Dennoch sind diese Wanderarbeiter häufig ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen ausgesetzt. Dies liegt an der Verfolgung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Seit 2003 ist eine Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz von Wanderarbeitern in Kraft, in der grundlegende Schutzbestimmungen formuliert sind, die für mehr Chancengleichheit sorgen sollen. Die Bundesrepublik hat diese Konvention aber nicht ratifiziert. KVA

VON KAI VON APPEN

Für die Wissenschaftlerin Emilija Mitrovic vom „Projektbüro Undokumentierte Arbeit“ der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di in Hamburg ist klar: „Arbeitsrechte sind Menschenrechte, unabhängig vom Aufenthaltsstatus.“ Daher sei es Aufgabe der Gewerkschaften, diese Menschen im Blickfeld zu haben. Sonst sei die Gefahr groß, dass sie wegen ihres illegalen Status im Job ausgebeutet würden. Mit dem Pilotprojekt „gewerkschaftliche Anlaufstelle für MigrantInnen ohne gesicherten Aufenthalt“ versucht Ver.di in der Migrationspolitik nun neue Wege zu beschreiten. Die so genannten „Papierlosen“ sollen sich bei Ver.di organisieren und ihre Arbeitsrechte geltend machen können.

Rund 100.000 Menschen leben nach Schätzungen des Diakonischen Werks allein in Hamburg ohne Papiere. Papierlose arbeiten häufig als Pflege- und Reinigungskräfte, Haushaltshilfen, Bau- und SaisonarbeiterInnen, als Malocher im Hafen oder als SexarbeiterInnen sowie in der Gastronomie – oft in prekären Verhältnissen. Sie sind unter ausbeuterischen Bedingungen beschäftigt. Bisweilen werden ihnen die Löhne vorenthalten.

Mit der neuen Anlaufstelle will Ver.di dagegen vorgehen. Auftrieb hat die Gewerkschaft durch einen Präzedenzfall bekommen, der gerade erfolgreich abgeschlossen worden ist: Ana Gonzales* aus Chile. Die heute 27-Jährige und zweifache Mutter war 2004 mit einer Hanseatischen Kaufmannsfamilie aus Lateinamerika an die Elbe gekommen, für die sie bereits in Chile für sie gearbeitet hatte. Offiziell bekam sie ein Ein-Jahres-Visum für eine Anstellung als Au-Pair-Mädchen. 350 Euro monatliches Taschengeld für vier Stunden Arbeit am Tag, Kost und Logis frei.

Tatsächlich musste Gonzales sehr viel mehr arbeiten. Sie putzte im Haushalt, reinigte den Swimmingpool und hütete die drei Kinder. Bis zu zehn Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Nachts hatte sie das Babyphone am Bett liegen.

Nach einem Jahr lief das Visum ab, danach arbeitete und lebte sie illegal bei der Familie weiter – insgesamt 39 Monate lang. Dafür überwies die Hamburger Familie an Gonzales Familie in Chile rund 8.200 Dollar. Insgesamt zahlte sie nebst Annas Taschengeld rund 14.000 Euro. 39 Monate lang hatte Gonzales faktisch für einen Euro Stundenlohn gearbeitet.

Vor sechs Monaten bekam Ana Gonzales Kontakt zu einer Beratungsstelle, die sie darauf aufmerksam machte, dass ihre Arbeitsbedingen für deutsche Verhältnisse sittenwidrig und ausbeuterisch seien. Sie trat in die Gewerkschaft Ver.di ein, bekam Rechtsschutz und klagte auf 47.000 Euro Lohnnachzahlung vor dem Arbeitsgericht.

Die Hamburger Arbeitsrichterin Elke Mascow tat sich mit dem einzigartigen Fall schwer, schließlich sei man sich doch über Jahre einig gewesen. Zudem seien ja auch Kost und Logis frei gewesen, was in Hamburg auch ein Kostenfaktor sei, meinte Mascow. Die Anwälte der Familie, die sich keiner Schuld bewusst war – „sie war wie eine Tochter für uns“ – boten 12.500 Euro Lohnnachzahlung. Richterin Mascow schlug letztlich vor, den Konflikt in einem Mediationsverfahren beizulegen und tat dann aber das Unglaubliche: Sie leitete die Akte an die Ausländerbehörde weiter und löste beinahe den worst case aus.

Die Polizei ermittelt gegen die Familie nun wegen Schwarzarbeit und gegen Gonzales wegen illegalen Aufenthalts. „Wenn in Hamburg generell so verfahren wird, werden Arbeitsrechte ausgehebelt“, kritisiert Mitrovic vom Projektbüro Undokumentierte Arbeit. Ein Arbeitsrechtsinsider hält das für die Ausnahme. „Bei allen anderen Hamburger Arbeitsrichtern wäre das nicht passiert“, vermutet er.

Inzwischen ist der Fall im Mediationsverfahren von Arbeitsrichter Ilbert Albers abgeschlossen worden. „Es ist Ana eine angemessene Abfindung gezahlt worden“, sagt Mitrovic. Über die Höhe möchte sie nichts sagen. „Ana ist jedoch sehr froh und stolz, diesen Weg beschritten und ihre Interessen wahrgenommen zu haben“, sagt Mitrovic.

„Die Möglichkeit der Beratung oder den Lohn einzuklagen ist keine Spinnerei“, sagt der Hamburger Arbeitsrechtler Christian Lewek. Denn jeder Mensch habe unabhängig vom Aufenthaltsstatus Anspruch auf Einhaltung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen. „Der Illegalisierte wähnt sich oft in einer schlechten Position, aber das Risiko für den Arbeitgeber ist oft höher“, sagt Lewek. Ansprüche würden von der Ver.di-Rechtsstelle zuerst außergerichtlich geltend gemacht, bevor es zu einer Geltungsklage vor dem Arbeitsgericht komme. Dabei werde stets der Grundsatz eingehalten: „Niemals die Adresse des Klägers angeben.“

Die „Anlaufstelle für Papierlose“ nimmt am 1. Mai die Arbeit auf. Das Pilotprojekt soll in Kooperation mit anderen Einrichtungen wie Frauen-, Flüchtlings, kirchlichen- sowie Migrationsberatungsstellen betrieben werden. „Es macht keinen Sinn, dass wir das als Ver.di alleine machen, sondern wir müssen mit anderen Organisationen eine personelle Struktur aufbauen“, sagt Peter Bremme vom Fachbereich „Besondere Dienstleistungen“. Denn Ver.di möchte mit dem Pilotprojekt in diesem Bereich neue Möglichkeiten für die Gewerkschaften ausloten und „eine andere Entwicklung auf die Beine stellen,“ so Bremme.

*Name geändert