: Volksaktie vor Gericht
Heute beginnt ein Musterprozess gegen die Deutsche Telekom: Ein Anleger fordert Schadensersatz, er fühlt sich betrogen. Wie ihm geht es auch 17.000 anderen Aktionären. Waren sie zu gutgläubig?
VON NATALIE TENBERG
Es könnte ein Mammutprozess werden. Ein einzelner Anleger, stellvertretend für knapp 17.000, fordert von der deutschen Telekom Schadensersatz. Unzutreffend und unvollständig seien die Angaben im Verkaufsprospekt zum dritten Börsengang 2000 gewesen, der Wert der Telekom-eigenen Grundstücke zu hoch angelegt. Der Anleger fühlt sich verarscht. Das Unternehmen bestreitet die Vorwürfe.
Der Konzern trägt nicht allein die Schuld an der damaligen Überhitzung des Telekom-Kurses. Auch die, die daran eine schnelle Mark verdienen wollten, können sich vor Prozessbeginn mitschuldig fühlen. Der Staat, der seinen Haushalt durch den Verkauf der Aktien schönsanieren wollte, die Banken, die bei diesem Börsengang verdienten, und nicht zuletzt all diejenigen, die fröhlich pfeifend ihr Geld in ein Unternehmen steckten, dem gerade das Monopol weggebrochen war, das tausende von Beamten mehr angestellt hatte, als sich ein Unternehmen, das unbedingt an der Börse mitspielen möchte, leisten konnte. Kurzum: Es war schon damals ersichtlich, dass die Aura des soliden staatlichen Schutzes nicht etwa für die Anleger, sondern eher für eine schmale Schicht von Mitarbeitern galt.
Waren die Anleger dumm?
Während nun also der Frage nachgegangen wird, ob der Verkaufsprospekt, in dem Immobilien des Unternehmens 2,46 Milliarden Euro mehr wert waren als acht Monate später, fehlerhaft war, wollen nach Angaben des Spiegels die Juristen der Telekom tatsächlich argumentieren, die Anleger hätten damals „in einem von der New Economy geprägten Umfeld gehandelt“. Soll das heißen, die waren alle gierig? Schließlich ist die Gier nach Geld das, was man von dieser Zeit noch in Erinnerung hat.
Zu gutgläubig und naiv, das waren die Anleger sicherlich, wurde die Telekom-Aktie – liebevoll T-Aktie genannt, als sei es eine alte Tante – in einer bis dahin beispiellosen Werbekampagne als „Volksaktie“ vermarktet. Jeder sollte sie haben: Schauspieler, Bauarbeiter, junge Menschen und alte. Die Telekom-Aktie sollte eben, vor allem in der dritten Tranche, nicht mehr die Gier befriedigen, sondern einen Wechsel im Anlageverhalten der Deutschen ermöglichen. Weg vom miefigen Sparbuch, vom spießigen Bausparvertrag und der morbiden Lebensversicherung, hin zum Finanzinstrument Aktie.
Vertrauen ist Kapital
Ein Instrument, das zwar Tag für Tag gehandelt wird, dessen Wert sich aber, technisch gesehen, erst nach der Unendlichkeit berechnen lässt – also nie. Am Ende schaut doch jeder Anleger nur auf den Wert, zu dem er die Aktie entnervt abstößt, und auch den Verlust, den er dabei macht. Das macht die Aktie im Vergleich zum Sparbuch zu einer risikoreichen Anlage, bei dem das Vertrauen des Einzelnen viel weniger Gewicht hat als seine Panik.
Da es eben genau um dieses Vertrauen geht, ist das, was im Prospekt steht, wichtig, auch wenn ihn nicht jeder Anleger genau studiert hat. Denn Vertrauen ist das Kapital des Aktienmarktes. Wenn viele Menschen Vertrauen in ein gewisses Unternehmen haben, ist der Kurs hoch. Doch setzt erst mal ein Vertrauensverlust ein, beispielsweise durch den Zweifel am Verkaufsprospekt und der Korrektur der Immobilienwerte um 2,46 Milliarden Euro, dann setzt eine Kettenreaktion ein. Am Ende des kumulierten Vertrauensverlusts sinkt der Wert der Aktie auf ein Tief – wie bei der Telekom-Aktie geschehen.
So ist es dann am Ende mit der „Volksaktie“. Wer ansetzt, eine Aktie für alle zu verkaufen, der darf sich nicht wundern, dass an ihm der Hass und die Enttäuschung auf dieses Finanzinstrument abregnen – auch wenn sich der Börsenkurs über Jahre hinweg noch ändern wird. Man mag also den Anlegern, die sich 2000 für die Zeichnung der Telekom-Aktien entschieden, vielleicht noch eine Vertrauensseligkeit vorwerfen, in die Zukunft, in das Neue an der New Economy. Nicht aber hat jeder Anleger gierig gehandelt und beschlossen, sich in den Liegestuhl zurückzulegen und sein Geld für sich arbeiten zu lassen.
Das Urteil ist fast egal
Wenn eine altes, verschnarchtes Staatsunternehmen und ein Exmonopolist im Zuge einer großen Werbekampagne vormachte, es sei an der Zeit für alle Verbraucher, an den Aktienmarkt zu gehen, damit sich seine eigenen Stakeholder daran gesundstoßen können, dann steht ihm die Diskreditierung derer, die ihm gefolgt sind, nicht zu. Egal wann und wie die Richter entscheiden werden: Das Vertrauen der Anleger in die Telekom ist gestört. Der Angriff als Verteidigung wird daran nichts ändern.