: Bürgerrechtler unter Beobachtung
Rolf Gössner ist ein ausgezeichneter Streiter für Verfassung und Bürgerrechte. Die überparteiliche Theodor-Heuss-Stiftung, die sich seit vierzig Jahren um deutsche Demokratie bemüht, verleiht ihm und den acht anderen Herausgebern des Grundrechte-Reports am Samstag ihre Medaille. Und Rolf Gössner ist ein Bürgerrechtler unter Beobachtung. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat den heute 60-Jährigen, der letztes Jahr auch Juror der Big Brother Awards war, im Visier – seit 38 Jahren schon und obwohl die Geheimen selbst nicht glauben, dass Gössner selbst die Verfassung gefährdet.
Auf ihn aufmerksam wurden sie 1970. Der Jurastudent schrieb in Zeitungen, die unter DDR-Einfluss standen. Er war ziemlich links, und bis heute findet er, „dass man in einer Demokratie mit allen reden muss“. Deshalb redet er in Volkshochschulen ebenso wie bei der Roten Hilfe – die der Verfassungsschutz für linksextrem hält und beobachtet. Weil er auch in linksextremen Zeitungen veröffentlicht und Kontakte zu DKP-Mitgliedern pflegt, werfen die Geheimen ihm vor, dass er „mit den entsprechenden Personenzusammenschlüssen in einer Weise zusammenarbeite, dass diese hierdurch in den von ihnen ausgehenden linksextremistischen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt werden“. Kein Vorwurf gegen den parteilosen Anwalt und Publizisten selbst also – der sich wundert, wie er mit verfassungskonformen Meinungsäußerungen Extremisten unterstützen kann. In Köln sammeln die Beamten trotzdem, was er schreibt, auf welchen Veranstaltungen er auftritt, und selbst Seminarunterlagen besorgen sie sich.
„Das gefährdet mein gesamtes Engagement für die Bürgerrechte und berührt alle meine Berufsgeheimnisse“, sagt Rolf Gössner. Er ist Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, vertrat Klagen gegen Polizeigewalt und hat im letzten Jahr sein dreizehntes Buch geschrieben. Seit 2007 engagiert er sich in einem Ausschuss der Bremer Bürgerschaft und ist stellvertretender Richter am Landesverfassungsgericht. Fast alle dieser Tätigkeiten sind besonders geschützt. „Und als stellvertretender Verfassungsrichter frage ich mich: Wer kontrolliert hier eigentlich wen?“, illustriert Gössner.
Dass er beobachtet wird, bestätigte der Verfassungsschutz erstmals 1996. Gössner klagt dagegen, protestiert haben der Strafverteidigertag, Günter Grass, die grüne Bundestagsfraktion und viele andere – stets erfolglos. Einen neuen Hebel testet jetzt die Liga für Menschenrechte: Sie will den Bundesrechnungshof einschalten, weil die Beobachtung Gössners Steuerverschwendung sei.
CHRISTIAN SIEPMANN