: Die Geburt von Nummer 14
Wirst du noch oder bist du schon? Den rapiden Metamorphosen der Pubertät hat Constanza Macras ihr Stück „Hell on Earth“ im HAU gewidmet. Mit einer Talentegemeinschaft aus Neukölln
VON ANNE PETER
Spätestens dann. Spätestens, wenn drei Teenie-Grazien mit erstaunlich umwerfenden Stimmen drauflos soulen „Ich hab kein’ Bock auf euch“, oder wenn die zierliche, 13-jährige Fatma mit dem weißem Kopftuch schon alles über Jungs weiß – „Die wollen eigentlich nur das eine“ – und aufs Selbstbewussteste ankündigt, dass sie Rechtsanwältin werden wird, spätestens dann ist es um einen geschehen. Keine Frage – der Abend „Hell on Earth“ von Constanza Macras im HAU korrumpiert. Wohl mittels seiner Mischung aus Live-Musik, Bewegungsfuror und Echtheitswallen. Da wäre eigentlichVorsicht geboten.
Doch die Glücksmomente stehlen sich zuhauf ins empathische Herz und lassen die kritische Distanz dahinschmelzen. Denn Constanza Macras, aus Argentinien stammende Queen der Berliner Tanzszene und Kopf ihrer multikompetenden Dorky-Park-Truppe, hat für „Hell on Earth“ mal wieder, so scheint’s, ins volle Leben des städtischen Mikrokosmos gegriffen und die Bühne des Hebbel-Theaters freigemacht für Könner-Kids und -Teens aus Neukölln.
Mit einigen von ihnen legte sie 2003, dem allgemeinen Doku- und Authentizitätstrend noch voraus, für das frisch eröffnete HAU-Kombinat die Performance „Scratch Neukölln“ auf. Auch die Fortsetzung besticht durch die Präsenz der jugendlichen Akteure, die keinerlei Wohlwollens-Bonus brauchen. Nicht zuletzt probt Macras hiermit ein Stückchen Nachhaltigkeit, indem sie fragt: Was ist aus den Kindern von damals geworden?
Pubertierende Jugendliche von heute natürlich. Der Titel suggeriert: Pubertät ist die Hölle. Vermittelt wird auf der mit Windmaschine und Adamsapfelbäumchen ausgestatteten Bühne eigentlich etwas anderes. Sie bevölkern weniger gequälte Seelen als überaus quirlige, geradezu überquellende Körper. Schließlich ist die Zeit zwischen dem zehnten und zwanzigsten Lebensjahr eine der rapiden Metamorphosen, durch die der eigene Körper plötzlich rasend fremd wird.
Busen linksrum
Das wollen die Horrorfilm-Projektionen andeuten. Komischsten Ausdruck verleiht dieser Verselbstständigung jedoch die Tänzerin Tatiana Eva Saphir, die ihrem wie losgelöst hüpfenden Busen lautstark befehlen kann, dass es jetzt linksrum geht, und der dabei alle in Rempelweite stehenden Mitdarsteller beherzt wegpufft. Neben ihr sind noch fünf weitere „Dorks“ mit von der Partie, professionelle Tänzer, die sich unter die jungen Amateure mischen, ohne sie je zu dominieren.
Indem sie alle miteinander wuseln lässt, verweigert sich die Choreografin konsequent der Trennung zwischen Profi- und Laientheater. Vielmehr ist man sich streckenweise nicht ganz sicher, wer hier eigentlich auf welche Seite gehört. Übst du noch oder tanzt du schon? Wirst du noch oder bist du schon? Solche Fragen machen hier keinen Sinn.
Doppelt Sinn macht hingegen der gewohnte Macras-Mix aus E und U, Hochkultur und Pop, Bach und Amy Winehouse, nämlich als formale Entsprechung jener wirren Zwischenzeit der Adoleszenz, zwischen Kindsein und Erwachsenwerden, die mit den Tanz-, Sing- und Erzählnummern dezidiert als wertvolles Jetzt und Hier behauptet wird.
Erste Liebe, Figurprobleme, Konkurrenzgepose, dazu Klamotten, Handys und coole Musik natürlich – Macras ergreift die üblichen Stichworte, die einem zum Thema einfallen. Aber wie! Dass sie es vor allem verspielt angeht und ihr der Gegenstand letztlich vor allem Anlass dazu geben mag, der selbstverwirklichenden Austobung Raum zu schaffen, verzeiht man ob der dabei entfachten Energie und Virtuosität allzu gern.
Die wunderbare Hyun-Jung Wang zum Beispiel. Hat unter die überweite Jacke einen Haufen Zigarettenschachteln gestopft, die ihr im Bedrängnistrio mit zwei Tänzern immer wieder entquillen, während sie von ihrem aus Korea stammenden Vater erzählt. Immer klaubt sie den Klischee-Schmuggeltabak wieder auf. Mit diesem Slapstick wird das Stereotype hergenommen und durch groteske Übertreibung als ein solches ausgestellt.
In anderen Fällen stülpt Macras es um. Maradona, der eben noch den Minimacho markiert hat, tritt jetzt mit drei anderen Jungs in bunte Tücher gehüllt an die Rampe und sagt simple Frauensätze wie: „Männer sind sexsüchtig. Die wollen nur ficken.“ Danach spielt der jüngste Teilnehmer mit einem kurzen Stöhner die Geburt seines 14. Kindes.
Zum einseitigen Angstbild vom Rütli-Neukölln entwirft Macras das Gegenbild einer Talentegemeinschaft. Das mag einseitig sein, auch leichtfertig an Problemstellen vorbeischrabben. Dennoch ist es dringend wichtig in Zeiten, in denen die Gebetsmühlen von misslungener Integration und Jugendgewalt nicht stillstehen wollen. Einnehmender kann man die Sache jedenfalls kaum angehen.
Wieder im HAU, 12., 13. und 15. bis 20. April, 19.30 Uhr