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Archiv-Artikel

Picknick im Stelenkreis

Eine Behinderteneinrichtung in Baden-Württemberg lockt mit einem „Sinnespark“ auswärtige Besucher an – und verknüpft anthroposophische Ideen mit aktiven Naturerlebnissen

VON CHRISTOPH RASCH

Das erste sinnliche Erlebnis ist die knallrote Farbe des „Besucherstalls“. Das Publikum wird erwartet, von Esel und Schafen im Erdgeschoss – sowie Larven und Faltern in den Schmetterlingskästen weiter oben. Naturnahe Unterhaltung ist angesagt in dieser ganz besonderen Waldsiedlung 50 Kilometer östlich von Stuttgart: Die Laufenmühle, eine anthroposophisch ausgerichtete Behinderteneinrichtung, hat sich vor 100 Tagen ebenfalls verpuppt – in einen Freizeit- und Erlebnispark der besonderen Art. Ein bunt bemalter Zirkuswagen wartet am Eingang dieses neuen „Erfahrungsfelds“ namens „Eins + alles“.

Dort schwingt ein Pendel, und an einem drehbaren Mühlstein spannen sich Schnüre, die bei gezielter Bewegung immer neue geometrische Formen und Objekte bilden – Mathematik zum Anfassen. Das Erfahrungsfeld besteht aus einem rund zweieinhalb Kilometer langen Mitmach- und Probier-Parcours: Man kann sich an Bäumen hinaufhangeln, auf hölzernen Drehscheiben das Gleichgewicht trainieren, sein Picknick in einem Stelenkreis à la Stonehenge einnehmen oder von einer hohen Plattform aus den Blick über die Wipfel des Waldes genießen.

Begonnen hatte die zur „Christopherus Lebens- und Arbeitsgemeinschaft“ gehörende Laufenmühle, idyllisch abgelegen im Welzheimer Wald, vor Jahrzehnten als eine Einrichtung für behinderte Kinder. „Anfangs war die Abgeschiedenheit ein Standortvorteil, dann aber wurde es hier allzu einsam“, berichtet Dieter Einhäuser, Leiter der Laufenmühle. Denn die Bewohner waren längst erwachsen geworden – und hatten nun andere Anliegen und Bedürfnisse: „Sie suchten ganz bewusst den Kontakt zu Besuchern“, so Einhäuser. Der 52-Jährige probierte deshalb ein Konzept aus, das er von seinem früheren Arbeitgeber mitgebracht hatte: Was in integrativen Seminaren klappt, sollte doch auch in der freien Natur gelingen – und so konzipierten die Behinderten und ihre Betreuer ihr Erfahrungsfeld.

Dessen Anspruch, eine Art Wegweiser zu innerer, natürlicher Gesundheit zu sein, bekräftigt schon das Logo: Ein stilisiertes Ginkgo-Blatt mit eingeprägtem Labyrinth ist das Markenzeichen dieses „Sinnesparks“, der sowohl Ort der Ruhe wie auch aufregendes Spielparadies sein will: Die – nach Rudolf Steiner zwölf – Sinne sollen hier gleichermaßen angesprochen werden, das Gleichgewicht und Sprachvermögen ebenso wie Wärmeempfinden und die Fähigkeit zum Nachdenken. Der Tischler, Philosoph und Künstler Hugo Kükelhaus entwickelte aus Steiners Ideen einst die „Erfahrungsfelder zur Entfaltung der Sinne“. Ein gutes Dutzend dieser Einrichtungen gibt es heute in Deutschland – das jüngste eben auf dem Gelände der Laufenmühle.

24 Arbeitsplätze entstanden dort: Manche der gehandicapten Bewohner betreuen nun die Tiere im Sinnespark, gehen mit neugierigen Besuchern auf Wanderungen oder servieren Selbstgebackenes im angeschlossenen Café. Dafür absolvierten sie zuvor eine spezielle Fortbildung, „denn wir wollten von Anfang an professionell auftreten“, sagt Einhäuser. Rund zwei Jahre Bau- und Planungszeit vergehen, dann öffnet das „Eins + alles Erfahrungsfeld“ im Sommer 2007.

Mittlerweile scheint das Konzept voll aufgegangen zu sein: Mehr als 8.000 Besucher zog das Erfahrungsfeld seit seiner Gründung an. Anfangs waren es vor allem Familien aus der Umgebung und Pädagogengruppen, die sich für das integrative Modell interessierten. Inzwischen, sagt Dieter Einhäuser, kommen auch immer mehr Firmen, die das aktivierende Spiel fürs Motivations- und Teamtraining nutzen. „Wir sind eben nicht auf bestimmte Zielgruppen festgelegt“, so Einhäuser, „und unsere erwachsenen Besucher zeigen sich ebenso begeisterungsfähig wie Kinder.“

Zum Beispiel im „Farbturm“. Wer dessen monochrom gestaltete Räume betritt, kann selbst erleben, was der Expressionist Wassily Kandinsky meinte, als er einzelnen Farben spezielle „Form-Tendenzen“ zuschrieb: Dominierendes Rot lässt Quadrate entstehen, im totalen Blau neigen sich scheinbar alle Formen zum Rund.

Und in speziellen Workshops lernen kleine und große Besucher unter fachkundiger Anleitung, wie Wasserkreisläufe funktionieren. Oder wie man mit Feuersteinen ein Feuer entfacht – mit möglichst unterschiedlichen Steinen, „wie in jeder guten Beziehung, sonst springt der Funke nicht über“, erklärt Dieter Einhäuser, dem es auch um Parallelen zu sozialen Abläufen geht.

Infos: www.erfahrungsfeld-laufenmuehle.de