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Archiv-Artikel

Als Sturkopf aufgab

„Ein hoch begabter Fachmann“, hat sein Vorgänger Biedenkopf über Milbradt gesagt, „aber ein miserabler Politiker“

VON GEORG LÖWISCH

Er schmeißt hin. Einfach so. Eilmeldung 10.37 Uhr, Pressekonferenz 12.00 Uhr. Geordneter Übergang, Verletzungen vermeiden, das Übliche. Als wäre er ein Weichei wie die anderen und nicht der größte Sturkopf der Politik. „Ein unglaublicher Steher“, hat Kanzleramtschef Thomas de Maizière mal über ihn geurteilt. „Durchziehen, nicht zurückziehen“, hat er selber gesagt. Wenn seine Gegner Respekt für einen Charakterzug hatten, dann war es das. Und jetzt?

Freitagnachmittag, 69 Stunden vor der Rücktrittserklärung. Georg Milbradt ist dort angekommen, wo es vor sieben Jahren anfing. Genau hier. Leipzig, Neue Messe, Kongresszentrum. Hier hat sich 2001 die Demütigung seines Lebens ereignet. Kurt Biedenkopf hat ihn als Intriganten bloßgestellt und jenes Urteil gesprochen, das seine Gegner in diesen Wochen wieder in die Zeitungen wandern ließen. „Ein hoch begabter Fachmann, aber ein miserabler Politiker.“

Milbradt sitzt in der ersten Reihe, nicht mal einen Meter von Biedenkopf entfernt. Der amtierende und der ewige Ministerpräsident von Sachsen, die Ersatzfigur und der Übervater. Wäre nicht die Verwaltungschefin der Leipziger Handelshochschule zwischen ihnen platziert, würden sich ihre Jacketts berühren. Die Hochschule feiert in einem Saal auf dem Messegelände ihr 110. Jubiläum. Jungmanager, Wissenschaftler und Politiker, sie sind gut gelaunt und gestärkt vom Buffet. Auf der Bühne spricht ein Professor über Biedenkopf, dem die Hochschule den Ehrendoktor verleiht. An der Wand erscheinen Bilder: Biedenkopfs Studienorte auf einer Weltkarte, Biedenkopf nachdenklich, Biedenkopf mit Modelleisenbahn. Wissenschaftler, Visionär, Tüftler. König Kurt!

Milbradt betrachtet die Bühne. Ab und zu schaut er nach links, wo ein Aktionskünstler mit Fingerfarben ein Bild der Hochschule malt. Wie mag er sich gerade fühlen? Er hat sieben Jahre geackert, hat die Partei erobert und sich Biedenkopfs Amt geholt. Er hat abgenommen und wieder zu, hat auf Grappa gemacht und auf Tee. Er hat Pressesprecher berufen und wieder verabschiedet, ist Ministerpräsident des Jahres geworden und Milliardenverlierer. Und all das, um am Ende wieder da anzukommen, wo er vor sieben Jahren war. Leipzig, Messe. Biedenkopf.

Sie haben König Kurt einen Talar umgehängt. Er sagt, er sei sehr bewegt. Erzählt vom Studium, wie er Manager wurde, wie er in der DDR einen Vortrag hielt. Er glänzt. Er zeigt sehr sorgfältig, was ein Politiker noch bieten muss außer Sachkompetenz, Analysefähigkeit, Entscheidungsstärke. Er bietet Bilder und Geschichten, wirkt mal streng und mal spitzbübisch. Die Zuschauer hängen an seinen Lippen. Sie jubeln, als seine Frau Ingrid ihn mit zwei Küsschen belohnt. Als es vorbei ist und die Leute aufstehen, will Milbradt ihm zum Abschied die Hand geben. Aber er kommt nicht an Biedenkopf ran, weil der von Verehrern umringt ist. Milbradt versucht es von der anderen Seite, es hat etwas Vergebliches. Er muss weg. Er reckt das Kinn nach vorn, dass sich der Stiernacken entspannt, und kantappert zum Ausgang.

Es war schon erstaunlich, dass er so lange durchgehalten hat. Aber je schlimmer es lief, umso mehr hat der 63-Jährige gezeigt, was er abkann. Die sächsische Landesbank musste verkauft werden – er blieb. Das Land übernahm Milliardenrisiken, der Finanzminister trat zurück – er blieb. Er hat sogar seinen treuen Staatskanzleichef gefeuert, weil der nicht funktionierte. Stellt er eben einen Vertrauten von Biedenkopf ein.

Man konnte sogar das Gefühl bekommen, dass Milbradt die Situation auskostet. Dass er zeigen will, dass er doch gewinnt, so wie nach der Demütigung durch Biedenkopf. „Ich bin nicht alleine in der Manege“, hat er im Herbst auf einem CDU-Parteitag gerufen. „Und Sie sehen zu und fragen sich: ‚Schafft er es?‘“

Er wusste, dass sie in seiner Partei einen Zermürbungskrieg fürchten, wie ihn Milbradt damals gegen Biedenkopf geführt hat. Kommt doch, ihr Feiglinge!

Aber ein Sturkopf will sein Schicksal auch selbst bestimmen, und das merkt er schon: dass er Gefahr läuft, ein Getriebener zu werden. In der Staatskanzlei behaupten sie, Milbradt habe seit Wochen seinen Abgang vorbereitet.

Dann wird bekannt, dass er und seine Frau ein Privatgeschäft mit der öffentlichen Sachsen LB gemacht haben. Grüne und Linke verlangen den Rücktritt, und in der CDU maulen viele – auch das ist ihm eigentlich egal, den Großteil der Abgeordneten hält er eh für bekloppt.

Sonnabend, Delitzsch bei Leipzig, noch 46 Stunden. Milbradt ist zum Parteitag der Jungen Union Sachsen gefahren. Es soll ein Stärkungstermin werden in der Halle eines Kartoffelhofes. Die JU-Jungs haben ihn mit rhythmischem Applaus begrüßt, der Landrat, ein Herr mit weißem Einstecktuch, hat sich eingeschleimt. Milbradt beginnt eine Standardrede über den Aufbau Ost und die Herausforderungen der Zukunft, im Publikum schauen sich einige Zeitschriften an. Auf einmal wird Milbradts Stimme eindringlich. „Ich habe einen Kredit dieser Bank bekommen“, sagt er. „Die Bedingungen standen im Prospekt. Ich hab ordentlich reingezahlt. Bargeld. Mein eigenes Geld. Ich empfinde da überhaupt nichts Negatives dabei.“ Sein Gesicht ist gerötet. „So weit zu dem Thema“, ruft er. Aber dann legt er nach. „Es ist nicht so gewesen, dass ich die Bank angebettelt hätte!“

Natürlich hat er gesehen, wie gefährlich das Immobiliengeschäft von ihm und seiner Frau ist. Die Reizworte „Angelika“ und „privat“ machen die Geschichte boulevardtauglich. Er weiß es, aber er will es nicht akzeptieren. Milbradt ist Mathematiker, Finanzfachmann, Wirtschaftsprofessor. Er hat das Symbolische, das Gefühlige in der Politik nie leiden können, auch wenn er seine Bedeutung kennt. Wenn er auf Leute zugeht, hat das etwas Unnahbares, fast Schüchternes. Er kann die Mundwinkel hochziehen, dass sich ein breites Lächeln ergibt. Es wirkt lustig, ein wenig lümmelhaft, aber gewinnend ist es nicht. In der CDU haben sie schon lange gemeckert, ein Politiker müsse auch zum Anfassen sein. Ab und zu machte er Inszenierungen mit, aber es wurde nichts besser dadurch.

Im September ist im Sachsen-Teil der Bild ein großes Foto erschienen. Es sagt eigentlich alles. Milbradt sitzt in seiner Wohnung beim Frühstück mit zwei Bild-Journalisten. Er hat sie eingeladen, aber er hat sich keinen Kuschelpullover angezogen. Er sitzt im dunklen Anzug und mit Krawatte am Frühstückstisch. Eine Homestory im Anzug – Christian Wulff würde bei der Vorstellung körperliche Schmerzen erleiden.

Milbradt sagt: „Wichtig ist nicht, was ist, sondern was die Menschen denken, was ist.“ Er sieht es ein, aber es klingt trotzig.

Sonntag, 19 Uhr. Milbradt hat maßgebliche Leute der Sachsen-CDU zu sich nach Hause gebeten. Er gibt nach. De Maizière sagt, dass er in Berlin bleibt. Finanzminister Stanislaw Tillich soll ran.

Tags drauf lächelt Milbradt entspannt, als er den Rücktritt verkündet. Hinterher ruft er seine Mitarbeiter zu Kaffee und Kuchen. Klar, er will als guter Verlierer dastehen. Aber vielleicht ist er einfach erleichtert.