: „Es gibt die Möglichkeit, Erfolg zu haben“
Heinz Strunks „Fleisch ist mein Gemüse“ ist ein Erinnerungsbuch, das von einer Jugend auf dem Land zwischen Schützenfest und kranker Mutter erzählt. Heute kommt die Verfilmung des Buchs in die Kinos. Regisseur und Drehbuchautor Christian Görlitz über Landgasthöfe, Arte und die Jugend von Heute
CHRISTIAN GÖRLITZ, 63, lebt in Hamburg und machte unter anderem den Film „Freier Fall“ und die Serie „Der kleine Vampir“.
INTERVIEW KLAUS IRLER
taz: Herr Görlitz, das Buch „Fleisch ist mein Gemüse“ spielt in den 1980er Jahren auf dem Land und erzählt von der Welt der Tanzmusiker auf Schützenfesten und Hochzeiten. Sie haben das Buch verfilmt. Gibt es diese Welt heute auch noch?
Christian Görlitz: Eigentlich ist es heute so wie damals. Es gibt zwar eine andere Musik, aber der Geist und die Stimmung sind die Gleichen. Ich habe da beispielsweise eine Frau getroffen, die hat dort einen Gasthof, den sie heute nur noch bei großen Feiern aufmacht. Eine ganz feine, dörfliche Dame Ende 70. Ich hatte so viel Respekt vor ihr, dass ich ihr nicht sagen mochte, was wir in dem Saal vorhaben – nämlich einen Lambada-Tanz mit Feuer auf der Bühne. Ich hatte Furcht, dass Sie sagen würde: „Um Gottes Willen!“ Aber das Gegenteil war der Fall. Sie sagte: „Was glauben Sie mir, wie oft das bei uns gebrannt hat. Die Leute legen doch überall ihre Zigaretten hin.“ Diese Frau war es gewohnt, nachts nach den Feiern nachzuschauen, ob es noch irgendwo kokelt. Das zeugt auch davon, wie gut da das Verständnis zwischen Alt und Jung ist. Es ist schon eine andere Welt. Ein Paralleluniversum.
Haben Sie schon Reaktionen aus der anderen Welt bekommen auf den Film?
Wenn in der Region, in der man lebt, ein Film gemacht wird, dann sind die Leute erstmal begeistert. Weil sie etwas wiedererkennen. Andererseits gibt es zwei kritische Blickpunkte: Den einen ist dieser Film nicht anarchisch genug. Die andere Kritik kam beispielsweise von dem Sender Arte, der den Film nicht mitproduziert hat. Unter anderem lautete ein Argument: Hier wird ein Bild von Deutschland gezeigt, das wir den Franzosen nicht bieten möchten. Da war ich sprachlos.
Worum geht es in der Geschichte?
Es geht darum, die Situation in den jungen Jahren, wenn man erwachsen wird und nicht weiß wohin man gehen soll, mit Würde durchzustehen. Auch dann, wenn das Elend um einen herum kaum noch erträglich ist. Heinz Strunk erlebt eine solche Jugend in einer bestimmten Ecke von Norddeutschland in sehr zugespitzter Form. An seinem Buch hat mir seine Radikalität sehr gefallen. Dass er sich selbst nicht schont.
Was ist daran interessant für die Zuschauer dafür interessieren?
Dass man sich als Jugendlicher immer auch immer wieder lächerlich gemacht hat, das wissen wir rückblickend alle. Es ist wie bei Holden Caulfield im „Fänger im Roggen“ – das haben wir gerne gelesen, weil einer erzählt, wie es bei ihm ist. Und das macht Heinz Strunk auch. Er sagt: Du bist nicht allein. Und das ist etwas ganz Wichtiges.
Aber ist die Geschichte nicht Literatur und als solche nicht so wörtlich zu nehmen?
Das literarische an dem Buch ist das Ablegen von Hemmungen. Dahinter verbirgt sich Wahrheit. Strunk hat teilweise einen ironisch-distanzierten Stil gefunden, aber auch einen hinreißend direkten Stil, Dinge zu benennen. Das kann man nur, wenn man auf die Wahrheit guckt. Bei so unendlich vielen Wahrheiten muss einen das, was nicht wahr ist, nicht kümmern. Heinz wird nun von vielen attackiert. Aber wer sich selber so wenig schont, der muss auch mal zu einem anderen sagen: Der hatte Wurstfinger.
Das Buch erzählt einerseits von dem Milieu der Tanzmusiker, andererseits geht es um Heinz‘ persönliches Schicksal, das Zusammenleben mit seiner kranken Mutter. Welche Balance haben Sie für den Film angestrebt?
Mein Interesse war, möglichst nah an dem Buch zu bleiben. Das sehr amüsante Musikmachen auf dem Land ist ja nur die äußere Bebilderung. Die innere Geschichte ist die enge Beziehung von Heinz zu seiner Mutter. Das Erwachsen-Werden ist für ihn auch ein Problem, weil das Mutter-Kind-Verhältnis ein sehr enges ist. Die Mutter braucht ihn, und das weiß er auch. Also habe ich die Trennung von der Mutter, das Erwachsen-Werden als einen Hauptstrang der ernsten Geschichte genommen. Das ist das wirkliche „Drama“ der Adoleszenz, um das es in diesem Film geht – nicht um die überdimensionalen Pickel, das sind die witzigen Aspekte.
Wo sehen Sie die Differenz zwischen Buch und Film?
„Fleisch ist mein Gemüse“ ist ein nach eigenen Angaben „ziemlich“ autobiografischer Roman des Musikers und Studio-Braun-Mitglieds Heinz Strunk, der darin von seiner Jugend als Tanzmusiker auf dem Land erzählt. Die Geschichte spielt Mitte der 1980er-Jahre, Heinz Strunk ist volljährig und lebt in Hamburg-Harburg bei seiner Mutter, die an einer Psychose leidet. Heinz hat Akne, keinen Job, keinen Erfolg bei Frauen und steigt bei der Showband „Tiffanys“ ein, mit der er auf Schützenfesten und Hochzeiten zwischen Elbe und Lüneburger Heide auftritt. Heinz versucht, seiner miesen Situation durch eine Solo-Karriere als Hit-Produzent zu entkommen. Der Roman ist sowohl eine eloquente Studie der Tanzmucker-Szene auf dem Land als auch die Geschichte eines jungen Mannes, der sich von seiner Mutter löst. „Fleisch ist mein Gemüse“ erschien 2004 und verkaufte sich seitdem über 250.000 Mal. kli
Ein Unterschied ist, dass der Film nicht ausläppert wie das Buch, das ja keinen dramaturgischen Höhepunkt hat. Mir war es wichtig, dass ich das Kaleidoskop-Artige zu einem Ende führe, das es im Buch nicht gibt. Auch weil ich erzählen wollte: Es gibt die Möglichkeit, bei all den Schwierigkeiten einen Erfolg zu haben. Es ist ein Film, der Hoffnung macht. Und das ist wichtig, weil Heinz auch Erfolg gehabt hat in seinem Leben.
Wie erleben Sie Jugendliche von Heute?
Als ich 1968 anfing zu studieren, war für uns die Welt offen. Es gab keinen Gedanken daran, dass man irgendetwas nicht werden konnte. Man konnte ohne große Probleme arbeiten und Geld verdienen. Wenn ich heute sehe, wie schwer das die jungen Leute haben, denke ich: Die Chancenlosigkeit ist entmutigend. So erlebe ich Jugend auch entmutigt und nicht visionär. Ich habe damals noch darüber nachgedacht, wie es eine neue oder bessere Welt sein könnte. Heute denken die Leute darüber nach, wie sie in der Welt, wie sie heute ist, noch ein kleines Plätzchen erstmal für sich ergattern können. Es ist schrecklich, wenn das das primäre Denken der jungen Leute ist. Aber ich kritisiere sie nicht dafür, denn es muss ihr Denken sein. Weil: Ohne Fressen kannst Du machen, was Du willst.
Zum Schluss kommt in Ihrem Film der Song „Gestern ist vorbei“. Wie wichtig ist diese Zeile am Ende des Films?
Es ist unbedingt notwendig, solche „Vergangenheitsbewältigung“ zu betreiben. Es ist notwendig in einer Situation, wie wir sie bei Heinz erleben, wo das Verhältnis zu seiner Mutter ja eines war, das von großer Liebe geprägt war. Gleichzeitig aber auch von unangenehmsten Auseinandersetzungen. Die Erkenntnis, dass man da gefangen sein kann in so einem Gestrüpp, ist ganz wichtig. Und zu erkennen, dass man dann auch mal einen radikalen Schnitt machen muss. Deshalb ist „Gestern ist vorbei“ ein ganz wichtiger Satz für junge Leute. Den müssen sie ab und zu mal sagen.