: Mut zum Stilbruch!
Es gibt diese Art von Menschen, die können jeden Raum umdrehen. Nicht im wörtlichen Sinne, wie eine Art Magier, sondern sie haben einfach die Fähigkeit, jede Schmuddelbude in einem solchen Licht leuchten zu lassen, dass sie herrlich wohnlich wirkt. Ja, wohnlich, ein Ort zum Niederlassen und zum Leben. Dabei benutzen sie die gleichen Ressourcen oder gar weniger, als diejenigen, die ihre Wohnung zu einer überästhetisierten Ausstellungsfläche sans esprit machen. Die Raummagier verlassen sich dabei weniger auf das, was Mode ist oder in intellektuellen Schichten goutiert wird, sondern sie folgen ihrem eigenen Sinn für das, was wozu passt, oder auch nicht, und trotzdem oder gerade deswegen gut aussieht.
Am Haus, an der Wohnung, auch am WG-Zimmer zeigen wir, wer wir sind. Eine Tatsache, der man sich leicht durch das Festkleben an einem Stil, eben dem, den man für den geforderten hält, entziehen kann. Es ist wie beim Wein: Jeder kann die einschlägigen Publikationen lesen und folglich eine Kennerschaft vorgaukeln, gute Geschmacksnerven hat man deshalb aber noch lange nicht. Heraus kommt beim getrimmten Weg zum Wohnzimmer allzu oft eine formvollendete, aber langweilige Ästhetik, die das perfekt Schöne aus der Vergänglichkeit heben möchte, es aber eher in Formaldehyd konserviert. Stil lebt oft eben auch von Brüchen in der Zeitachse. Durch den Stilbruch entsteht eine Sammlung der zarten vergangenen Momente, die in ihrer Vergänglichkeit nur als Erinnerung weiterleben. Durch sie gewinnt die Oberfläche, oft eine angekratzte, an Wert und Bedeutung. Ein komplettes Ligne-Roset-Zimmer aus einer bestimmten Zeit wird immer wie ein Ausstellungsstück im Handwerksmuseum wirken.
Eine Wohnung, die nur unter dem Aspekt, was nun stilsicher sei, eingerichtet ist, wirkt wie das bis zum Anschlag retuschierte Bild auf dem Cover einer Frauenzeitschrift. Schön anzusehen, am Leben aber gescheitert. Oberflächlich. Etwas zum Ansehen, aber kein Lebensmodell. Wichtiger als das Bekenntnis zu Marken und Styles ist in der Einrichtung das Ja zum dem, was man selbst ungeachtet aller Strömungen und dessen, wie der Bekanntenkreis eingerichtet ist, schön findet. In Möbel gegossene Meinung bringt Zimmern Persönlichkeit – etwas, was sie ja per definitionem eigentlich gar nicht beinhalten könnten; eine Persönlichkeit, die kein noch so begabter Innenarchitekt hervorzaubern kann. Denn die Räume werden von denen geprägt, die in ihnen leben. Stilpuristen verkennen das in ihrer panischen Angst vor dem Stilbruch. Kein Bild an der Wand, aus Furcht, es könnte das falsche sein, kein Möbelstück zu viel, es könnte ja verräterisch sein. Auch extremer Flohmarktplunder als angebliches Bescheidenheitsstatement wirkt so.
Menschen, die sich in ihrem Zuhause wohlfühlen, sind sympathischer als die Vertreter jener Spezies, für die das Wohnzimmer nur als aufwendig gestaltete Kulisse für ihr Schaulaufen fungiert. Man braucht Mut, um sich so einzurichten, wie man es schön findet, unabhängig von der gerade aktuellen Stillinie. Zwar kann eine Miniaturelefantensammlung mit der Zeit zu einer veritablen einrichtungstechnischen Belastung werden, doch wenn es gefällt – warum nicht? Und wenn jemand gerne kocht, mein Gott, weshalb soll er sich dann kein holzgedrechseltes Gewürzregal in die Küche stellen? Und wenn jemand die Regalserie „Ivar“ von Ikeal als Aufbewahrungselement für seine in vielen Jahren mühevoll zusammengetragene, farblich nicht aufeinander abgestimmte Büchersammlung geeignet findet – warum sollte er sie nicht aufstellen? Nur um nicht von den vielleicht zwei, drei Geschmacksfaschisten, die ihn im Laufe eines Jahres besuchen, heimlich und hämisch belächelt zu werden? TEN