Kein absoluter Schutz

Seit einem Jahr müssen Stalker laut Gesetz mit Geld- und Freiheitsstrafen rechnen. Doch der Schutz der Opfer stößt an Grenzen: Zwar kann die Polizei die Täter kurzfristig in Gewahrsam nehmen, doch die Auflagen für eine Untersuchungshaft sind hoch

„Die Eskalation, die ein Opfer in Lebensgefahr bringt, entwickelt sich in der Regel situativ“

von MECHTHILD GARWEG
und ULRIKE HORSTMANN

Eine Frau getötet und eine lebensgefährlich verletzt: Diese beiden aktuellen Fälle von extremer Gewalt bei Stalking gegen Frauen in Hamburg werfen wieder einmal die Frage auf, welchen Schutz die Gesellschaft den – meist weiblichen – Stalkingopfern durch Polizei und Justiz gewährt und welche Grenzen für einen effektiven Gewaltschutz bestehen.

In den beiden aktuellen Fällen konnten die gesetzlichen Schutzmechanismen die Gewalteskalation der Täter gegen ihre Opfer jedenfalls nicht verhindern. Stalker sind Menschen, die ihren Opfern immer wieder nachstellen, sei es durch permanentes Auflauern am Arbeitsplatz, vor der Wohnung, auf der Straße oderdurch Telefonterror. Dabei ignorieren sie jeglichen Widerstand ihres Opfers. So zwingen sie es in einen Machtkampf, der allzu häufig das Leben der Betroffenen völlig besetzt.

Die Folgen für die Betroffenen reichen von Ohnmachtsgefühlen bis hin zur Bedrohung ihres Lebens, der Gesundheit oder ihrer Freiheit. In manchen Fällen eskaliert das wahnhafte Nachstellen sogar bis zum Tod des Opfers. Die Täter sind oft (ehemalige) Partner oder Ehemänner, aber auch Menschen, mit denen die Opfer nur zufällig in Kontakt kommen.

2002 wurden den betroffenen Opfern durch das Gewaltschutzgesetz erstmals zivilrechtliche Schutzmöglichkeiten zur Seite gestellt. Seitdem können auf Antrag der Betroffenen Gewaltschutzanordnungen erlassen werden, die gegen den Stalker ein Aufenthalts- und Zutrittsverbot aussprechen oder ihm jegliche Kontaktaufnahme oder Annäherung – sei es persönlich, durch Telefon oder Mails – untersagen. Wohnt der Täter mit seinem Opfer in einer gemeinsamen Wohnung, kann ihm sogar die Nutzung der eigenen Wohnung verboten werden.

2007 hat der Gesetzgeber Stalkingverhalten gesellschaftlich geächtet und den zivilrechtlichen Schutz durch strafrechtliche Sanktionierung ergänzt. Seitdem müssen die Täter mit Geld- oder Freiheitsstrafen rechnen. Der sofortige Schutz für die Opfer ist von der Polizei zu leisten, etwa durch eine „Wohnungswegweisung“ oder „Gefährderansprache“.

Diese Maßnahmen dienen der kurzfristigen Krisenintervention und sind nur vorläufiger Natur. Droht der Täter mit der Fortsetzung der Nachstellung, kann die Polizei ihn für längstens 48 Stunden in Unterbindungsgewahrsam nehmen. Das Gesetz stellt hohe Anforderungen an die Anordnung von Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr, die bei typischen Stalkingfällen kaum jemals vorliegen dürften. Der Täter muss vorher bereits ein Opfer in die Gefahr des Todes oder schwerer Gesundheitsschädigung gebracht haben. Regelmäßig agieren Stalker unterhalb dieser Schwelle; die Eskalation, die ein Opfer in Lebensgefahr bringt, entwickelt sich in der Regel situativ.

Hier stößt staatlicher Schutz an seine Grenzen. Wenn das Opfer eine solche lebensbedrohliche Eskalation für möglich hält, greifen nur noch eigene Maßnahmen, um sich dem Täter zu entziehen, zum Beispiel für Frauen die Flucht ins Frauenhaus. Auch wenn dies den Opfern nahezu Unmögliches abverlangt wie den Ausstieg aus dem bisherigen Leben, so bietet nur dies eine sichere Grundlage für ein künftig selbstbestimmtes Leben. Wer diesen hohen Preis nicht zahlen will, dem kann ein umfassender Schutz gegen die lebensbedrohende Eskalation nicht gewährleistet werden. Dieses Restrisiko bezahlen manche Opfer bis heute mit ihrem Leben.

Anlaufstellen für Opfer:

Hotline für Opfer häuslicher Gewalt und Stalking ☎ 040/ 22 62 26 27, täglich 10 bis 22 Uhr

Patchwork Handynotruf ☎ 0171/ 633 25 03

Pro-Aktiv ☎ 040/ 41 30 70 80

Autonome Hamburger Frauenhäuser ☎ 040/ 197 02

Mechthild Garweg ist Fachanwältin für Familienrecht; Ulrike Horstmann ist Fachanwältin für Strafrecht