: Wer jetzt Verrat schreit, schreit zu spät
Wie findet die taz nord Schwarz-Grün? Diese Woche schreiben RedakteurInnen, was sie von der neuen Koalition in Hamburg halten. Sie ist kein Sündenfall, sondern eine logische und konsequente Polit-Ehe, findet Marco Carini
Zukunftsmodell, Liebesheirat oder pures Zweckbündnis zum Machterwerb – der schwarz-grünen Koalition fehlt es nicht an vorauseilenden Einordnungen, die den Kern nicht treffen. Denn die Koalition ist angesichts der jüngsten Entwicklung von CDU und GAL vor allem eines: Logisch, konsequent und folgerichtig.
Der nüchterne Blick auf den Koalo-Vertrag verrät, dass er über weite Strecken mit grüner Tinte verfasst wurde. In vielen Bereichen ist die Handschrift der GAL gut erkennbar, andere Teile bleiben unleserlich, weil Schwarz und Grün gemeinsam versuchten, den Füller zu führen.
Trotz Moorburg-Formelkompromiss und Elbvertiefungs-Freibrief ist vor allem viel Klimapolitik und Umweltschutz in dem Papier zu finden. Der Erfolg der geplanten Schulreform wird sich an den Details ihrer Umsetzung entscheiden, die sozialpolitischen Vereinbarungen weisen Gerechtigkeits-Fortschritte, aber auch viele Leerstellen auf. Während die Justizpolitik vor einer Kehrtwende steht, gibt es in der Wirtschafts- und der Innenpolitik nur grüne Tupfer auf tiefschwarzem Hintergrund.
Fest aber steht: Der GAL gelang es, der CDU in einem Maße Zugeständnisse abzuringen, wie sie sie 1997 der SPD nicht annähernd abtrotzen konnte. Die Latte für Schwarz-Grün liegt höher als für Rot-Grün; das wussten beide Neu-Koalitionäre. Und sie haben danach gehandelt.
Wenn viele Wähler und einige Mitglieder der Grünen angesichts der grünen Steigbügelhalter-Rolle für Ole von Beust dennoch lauthals „Verrat“ rufen, so tun sie es zehn Jahre zu spät. Seit der Zustimmung zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, zu Hartz IV und Agenda 2010 oder auch der Hamburger Abtrennung des Regenbogens, sind die Grünen weder an der Spree noch an der Elbe eine linke Partei. Die Frage, ob die ökologische und die soziale Krise im real existierenden Kapitalismus gelöst werden können, stellen sie nicht mehr, weil sie sie längst mit „Ja“ beantwortet haben.
Als pragmatische Partei stellt sich für die GAL deshalb nur eine Frage: Wie und mit welchem Partner kann sie möglichst viele ihrer Anliegen in Regierungshandeln überführen? Hier zeigt sich Hamburgs CDU freigiebiger, als die SPD es je gegenüber den Grünen war. Da nicht zuzugreifen, würde die eigene Entwicklung ad absurdum führen.
Interessant dabei ist, dass ein Großteil der Kritik von links nicht den Koalitionsvertrag attackiert, sondern das Bündnis ablehnt, weil die CDU die Vereinbarungen ja doch nicht umsetzen werde. Eine solche Ablehnung spricht eher für die Qualitäten des Vertrages und ist die beliebigste aller Kritiken, weil sie auf jede Koalitionsvereinbarung anwendbar ist. Dabei zeigen die Erfahrungen schwarz-grüner Städtekoalitionen wie in Frankfurt, Köln oder Kiel, dass sich die CDU stets als vertragstreuer Bündnispartner erwiesen hat. Die Liste sozialdemokratischer Wortbrüche in rot-grünen Regierungen dagegen ist lang.
Die CDU hat begriffen, dass sie in Hamburg die Mehrheit verloren hat und nur deshalb an der Regierung bleiben darf, weil die Wahlen in genau dem Zeitfenster stattgefunden haben, in dem der Weg zu einer rot-rot-grünen Regierung noch vermint ist. Wer als Wahlverlierer regieren will, muss bereit sein, dafür einen Preis zahlen. Ihre aufreizende programmatische Beliebigkeit macht es der CDU dabei leicht, gestern mit Schill und heute mit Goetsch ins Regierungs-Boot zu steigen.
Wo SPD und Grüne um die gleichen Wähler und die Führungsrolle bei denselben Themen konkurrieren, geht die CDU abgegrenzt und ohne Eifersucht in die Polit-Ehe mit der GAL. Auch wenn Ernüchterung schon aufgrund der Vorschusslorbeeren nicht ausbleiben wird: Dieser Ehevertrag könnte haltbarer werden, als viele vermuten.