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Archiv-Artikel

CDU-Politiker machen Rentenstreit zur Prinzipienfrage

NRW-Sozialminister Laumann will kleine Renten aufbessern, indem er eine in den Neunzigerjahren abgeschaffte Regelung wieder aufleben lässt

Für einen Mindestlöhner würde die Rente durch die neue Formel künftig um mehr als 200 Euro höher ausfallen

BERLIN taz ■ Geht es um die Rente, werden Christdemokraten derzeit gern grundsätzlich. Norbert Röttgen, parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, sieht „die Prinzipien der christlichen Soziallehre“ durch den Vorschlag des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers in Gefahr, die Rente für Geringverdiener aufzustocken. Kanzlerin Angela Merkel ließ erklären, mit ihr werde es bei der Rente „keinen Systemwechsel“ geben. Und Generalsekretär Ronald Pofalla befindet über die Rentenkasse: „Am Prinzip, dass jeder eingezahlte Euro gleich behandelt wird, darf nicht gerüttelt werden.“

Gemeint ist in allen drei Fällen, dass für die Höhe der späteren Rente in erster Linie nicht soziale Gesichtspunkte zählen müssen, sondern die Leistung des Einzelnen. So argumentiert aber auch Rüttgers selbst. „Der Satz ‚Leistung muss sich lohnen‘ muss bei unseren Reformen wieder stärker berücksichtigt werden“, hatte er in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erklärt – wie in den Wochen zuvor bereits mehreren nordrhein-westfälischen Regionalzeitungen, die allerdings von den leicht erregbaren Politikern und Journalisten in der Hauptstadt nicht gelesen werden.

Nicht gelesen werden von führenden Unionspolitikern offenbar auch die umfangreichen Antragstexte, die auf Landes- und Bundesparteitagen der CDU beschlossen werden. „Wer 35 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, muss eine Rente oberhalb des Hartz-IV-Niveaus bekommen“: Dieser nun kritisierte Rüttgers-Satz steht bereits im Leitantrag für den NRW-Parteitag Mitte Juni, den der Landesvorstand Anfang April einstimmig beschloss. Anwesend: Rüttgers-Kritiker Pofalla und einige weitere Vertreter der Bundesprominenz, darunter NRW-Landesgruppenchef Peter Hintze, die Merkel-Vertraute Hildegard Müller sowie der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder.

In Vergessenheit geraten war offenkundig auch, dass der berüchtigte Kopfpauschalen-Antrag für den Leipziger Parteitag zur Befriedung des Sozialflügels auch die Forderung enthielt, „dass langjährig Versicherte, die immer vollzeitig beschäftigt waren, eine Rente mindestens 15 Prozent oberhalb der jeweils gültigen Sozialhilfe erhalten, die bedarfsabhängig und steuerfinanziert ausgestaltet wird“. Diesen Satz zitierte gestern genüsslich der nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann, wobei er den letzten Nebensatz mit dem Wort „bedarfsabhängig“ vorsichtshalber strich.

Denn das Modell, das in Laumanns Ministerium derzeit erarbeitet wird, soll allen ehemaligen Geringverdienern zugutekommen. Der Minister will die Anfang der Neunziger abgeschaffte „Rente nach Mindesteinkommen“ wieder einführen: „Dabei werden, wenn mindestens 35 Jahre mit Beitragszeiten vorliegen, niedrige Entgelte bei der Berechnung der Rente um die Hälfte erhöht, höchstens auf 75 Prozent des Durchschnittsverdienstes.“ Für einen Arbeitnehmer, der vom 20. bis zum 67. Lebensjahr zu einem Stundenlohn von 7,50 Euro gearbeitet hat und der im Jahr 2030 in Rente geht, würde sich die Rente dadurch von 532,89 Euro auf 768,59 Euro erhöhen.

SPD-Arbeitsminister Olaf Scholz höhnte, Rüttgers werde das Konzept ohnehin nicht weiter verfolgen und „keinen Antrag im Bundesrat stellen“. In Düsseldorf wollte gestern zwar niemand konkret sagen, ob das Laumann-Konzept demnächst vom nordrhein-westfälischen Kabinett beschlossen und in die Länderkammer eingebracht wird. Immerhin war es Rüttgers aber mit der Verlängerung des Arbeitslosengeldes I bereits im vorigen Jahr gelungen, die geschlossene Ablehnung der Berliner Koalitionäre zu überwinden. RALPH BOLLMANN

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